Franco - Der ewige Faschist
Mit einem Putsch gegen die Republik stürzte General Francisco Franco 1936 Spanien in einen Bürgerkrieg, aus dem seine Seite drei Jahre später als Sieger hervorging. Seine Herrschaft bis zum Tod am 20. November 1975 umfasst fast vier Jahrzehnte: Die Deutung über die längste Diktatur Westeuropas ist bis heute in Spanien umstritten. Der Münchner Historiker Till Kössler räumt in seiner neuen Biografie „Franco - Der ewige Faschist“ mit lang gehegten Legenden und dem geschönten Bild des Gewaltherrschers auf.
AZ: Herr Kössler, was ist die Hauptschwierigkeit bei der Deutung einer umstrittenen Figur wie Francisco Franco?
TILL KÖSSLER: Weil Franco so lange geherrscht hat, liegt es fast in der Natur der Sache, dass sich viele unterschiedliche Urteile herausgebildet haben über ihn. Die Opferzahlen des Bürgerkriegs aber auch seines Regimes sind schwer zu ermitteln, weil es bis zu seinem Tod keine neutrale Instanz gab, die objektiv recherchiert hätte. Allerdings hat die Forschung in den letzten Jahrzehnten erhebliche Fortschritte gemacht. Man kann davon ausgehen, dass im Bürgerkrieg zwischen 1936 und 1939 über ein halbe Million Menschen starben. Und nach Kriegsende wurden rund 50.000 Menschen Opfer der Francodiktatur. Die Massentötungen nahmen Anfang der 40er Jahre ab, das Regime hatte sich durchgesetzt, zumal Hunderttausende Regimegegner über die Pyrenäen nach Frankreich geflohen waren. Gewalt blieb aber ein Handlungsmittel, mit dem ab Ende der 60er Jahre Streikbewegungen, vor allem aber der ETA-Terrorismus bekämpft wurde.

Auch 50 Jahre nach Francos Tod gibt es in Spanien kein Museum über die Geschichte des Krieges und der Diktatur. Wie ist das zu erklären?
Es ist schwierig, weil auch die Nachgeschichte der Diktatur noch eine Phase der Profiteure des Regimes und eine Geschichte der Opfer des Regimes ist. Das sind zwei völlig unterschiedliche Perspektiven. Vergleiche hinken immer, aber wenn man sich ansieht, wie lange die Bundesrepublik gebraucht hat, die Nazigeschichte aufzuarbeiten, auch unter großem Druck von außen, dann kann man vielleicht nachvollziehen, wie schwierig das für Spanien ist.
War Franco trotz fehlender Freiheit der Gesellschaft bis zu seinem Tod bei einem Teil der Bevölkerung beliebt?
Zumindest geduldet, denn viele Menschen befürchteten, dass ohne Franco die Gewalt des Bürgerkrieges wieder aufbrechen könnte. Sie sahen ihn als das kleinere Übel, das ein drohendes Chaos verhindert.

Welche Aspekte haben Sie beim Recherchieren für Ihr Buch überrascht?
Ich habe bei der Recherche festgestellt, dass die Modernisierungserzählung des Franquismus sehr stark ist, also die Idee, dass Franco trotz seiner verbrecherischen Taten dazu beigetragen habe, Spanien zu einem modernen, westeuropäischen Land zu formen. Natürlich hat es in der langen Zeit seiner Regentschaft starke Veränderungen gegeben, aber die Errungenschaften waren sehr ungleich verteilt, die Misswirtschaft und das Günstlingsprinzip waren vorherrschend.
In Westeuropa gab es in Teilen ein zu gütiges Franco-Bild?
Interessant fand ich, wie positiv weite Teile der westeuropäischen, liberalen Öffentlichkeit Franco gesehen, seine Diktatur dabei relativiert haben, nach dem Motto: Na gut, das ist halt eine südländische Diktatur, die kann man nicht mit den Nazis vergleichen. Selbst Gräfin von Dönhoff schrieb 1950, ihr erscheine der Franquismus als „das einzig adäquate System“ für Spanien. Francos Minister Manuel Fraga prägte später den Satz „Spain is different“ für die Tourismuswerbung, da schwingt auch eine politische Bedeutung mit. Und Franco war ein Profiteur des Kalten Krieges. Die Ächtung seines Regimes wollte sich der Westen aus geopolitischen Gründen nicht länger leisten, schon 1955 wurde Spanien in die UN aufgenommen, die Zusammenarbeit mit den USA begann schon früher.

Es gibt viele Heldengeschichten über Franco als aufstrebender Militär im Kolonialkrieg in Marokko in den 1920er Jahren. Sie verzichten darauf, warum?
Wenn man genau hinschaut, sind dies Anekdoten, die meist von wohlwollenden Biografen berichtet wurden. Verifizieren lässt sich vieles nicht. Historisch belegen lässt sich allerdings ein äußerst grausam geführter Kolonialkrieg, der übrigens auch Zehntausende von spanischen Soldaten das Leben kostete.
Franco inszenierte sich später als Retter, der 1936 das Chaos der Republik mit einem Putsch beendete.
Seriöse Studien zeigen, dass das angebliche Chaos der Republik keineswegs in dem Ausmaß bestanden hat, wie Franco später behauptete. Außerdem hat Francos Lager nach dem Sieg der Volksfront bei den Wahlen 1936 mächtig dazu beigetragen, Unruhe herbeizuführen. Dass der Bürgerkrieg unvermeidlich war, kann man mit guten Gründen widerlegen.

Es gab allerdings auch eine linke Glorifizierung der Republik.
Die gab es auf jeden Fall, beispielsweise später in Enzensbergers berühmten Buch „Der kurze Sommer der Anarchie“. Die Forschung hat diese Idealisierung auch widerlegt, denn es gab auch auf republikanischer Seite viel Gewalt. Das ist ja das Tragische, dass beide Seiten die utopische Idee hatten, dass mit dem Sieg im Krieg eine neue Gesellschaft entstehen würde. So wurde Gewalt auch als legitimes Mittel gesehen.
Wurde der Spanische Bürgerkriegs im Sommer 1936 in Bayreuth entschieden, als Gesandte Francos Hitler nach einer Wagner-Aufführung in einer langen Nacht von der militärischen Unterstützung überzeugen konnten?
Es ist unwahrscheinlich, dass Franco den Krieg ohne Unterstützung von Hitler und Mussolini gewonnen hätte. Aber es bleibt Spekulation. Die demokratischen Nationen Europas haben die Republikaner hingegen sehr wenig unterstützt, die Hilfe kam nur für das kommunistische Lager aus Moskau.
Der Spanische Bürgerkrieg gilt als Vorläufer des Zweiten Weltkriegs, als ein Krieg der Ideologien.
Er hatte natürlich diese Dimension und ist international dann auch so aufgewertet worden. Aber man muss klar sehen, dass die Ursachen für den Krieg innerspanisch waren. Für einen Großteil der sehr armen und analphabetischen Landbevölkerung waren Begriffe wie Faschismus oder Bolschewismus schlichtweg irrelevant, das hatte mit ihrer Lebenswelt gar nichts zu tun.

Manche Biografen bezeichnen es als Francos große Leistung, dass er Spanien nahezu aus dem Zweiten Weltkrieg heraushielt.
Spanien lag nach dem Bürgerkrieg am Boden, das Militär war in keiner Weise für einen modernen Massenkrieg gerüstet. Franco wollte zunächst durchaus mitmischen, stellte aber sehr große Forderungen, was Waffenlieferungen und andere Unterstützung betraf, aber auch Gebietsansprüche auf die französische Kolonie in Marokko. Darauf gingen die Nazis nicht ein. Entscheidend war also weniger eine ausgeprägte politische Weitsicht Francos, sondern die mangelnde Möglichkeit.
Franco ging Hitler auf die Nerven
Die spanische División Azul, die zwischen 1941 und 1943 an der Ostfront in Russland kämpfte, war sie eine Freiwilligenarmee?
Tatsächlich kann man sie als eine Art Ventil sehen. Es gab in der faschistischen Einheitspartei Spaniens einen starken Block, der für einen Kriegseintritt war. Und mit der División Azul gab es eine Möglichkeit, diese Energie zu bündeln.
Franco und Hitler trafen sich ein einziges Mal, 1940 im französischen Grenzort Hendaye, da sollen beide stundenlang aneinander vorbeigeredet haben.
Hitler soll nach dem Treffen gesagt haben, er lasse sich lieber drei oder vier Zähne ziehen, als noch einmal mit Franco zu sprechen. Franco blieb auch die folgenden Jahrzehnte berüchtigt dafür, seine Gäste mit stundenlangen Monologen zu langweilen, meist mit seinen Heldengeschichten aus Marokko. Das zeigt auch, wie er in seiner Welt gefangen blieb und nicht in der Lage war, sich auf den Wandel im Land einzulassen.
Seit 1949 hat er Spanien nicht mehr verlassen?
Ein Beweis für seine spanisch-nationalistische Sichtweise, dass man andere Nationen gar nicht unbedingt brauche. Er hatte immer eine große Skepsis gegenüber allem „Ausländischen“. Dazu kommt, dass er eine große Angst vorm Fliegen entwickelte. Und es gab auch kaum ein Land, das ihn überhaupt empfangen hätte.
120 Minister, aber keine Frau dabei
Franco ernannte im Laufe der Jahrzehnte 120 Minister. In diesem Fall bräuchte man gar nicht zu gendern, denn darunter befand sich keine einzige Frau.
Es gab nicht einmal eine Familienministerin. Franco kommt aus einem militärisch geprägten Kontext, dort spielten Frauen überhaupt keine Rolle. Es war für ihn selbstverständlich, dass Politik Männersache war. Erstaunlicherweise gab es erste Gegenbewegungen aus den Frauenorden der katholischen Kirche. Auch die erste spanische Universitätsprofessorin der Franco-Zeit kam aus der katholischen Frauenbewegung.
Francos Ziel war die spirituelle Erneuerung eines zerrissenen Landes. Das hat er trotz jahrzehntelanger Herrschaft nicht erreicht, oder?
Nein, das muss man ganz klar sagen. Aber es gab auch einen nicht unerheblichen Anteil der spanischen Bevölkerung, die dieses Projekt aus Überzeugung mitgetragen hat. Letztendlich aber war der Franquismus ein System, das keinerlei Pluralität duldete. Jede abweichende Meinung konnte als „unspanisch“ verteufelt werden. Das sieht man besonders gut in Katalonien und im Baskenland, wo sogar die regionalen Sprachen verboten wurden.
Lange hatten rechtsradikale Parteien in Spanien keinen Zulauf. Nun liegt die Vox-Partei laut Umfragen bei über 20 Prozent. Was ist geschehen?
Erstens hat die konservative PP lange Zeit als große Mantelpartei auch die Positionen, die weit ins rechte Spektrum gingen, abgedeckt. Das gelingt ihr jetzt nicht mehr. Und natürlich entlädt sich auch der Wählerfrust, weil beide große Volksparteien, die PP und die sozialdemokratische PSOE, in unzählige Korruptionsskandale verwickelt waren. Man darf den Stellenwert politischer Bildung leider nicht zu hoch hängen, aber die fehlende Aufarbeitung der Geschichte führt vielleicht auch dazu, dass heute unter manchen Jugendlichen wieder ein Franco-Kult grassiert.
Auch der Franco-Clan hat sich bereichert
Apropos Korruption, auch der Franco-Clan hat sich erheblich bereichert, auch wenn Franco selbst immer als relativ spartanisch lebender Politiker dargestellt wurde.
Das Bild von Franco als genügsamer Mensch stimmt nicht mit der Wirklichkeit überein. Es gab sicherlich in seinem Umfeld Menschen, die sich noch viel mehr bereichert haben, aber auch Franco und seine Ehefrau besaßen etliche Häuser und große Grundstücke, die alle in die Familienstiftung überführt wurden.
Das ist ja der springende Punkt: Niemand wurde nach der Diktatur für irgendetwas zur Rechenschaft gezogen.
Das war und ist eine Hypothek für die spanische Demokratie, aber das Amnestiegesetz von 1977 ist den Zeitumständen geschuldet. Die neuen, demokratischen Kräfte wollten nach Francos Tod einen Neuanfang ermöglichen. Das Gesetz richtete sich ebenso an die ETA-Terroristen, in der vergeblichen Hoffnung, man könne die Gewalt schnell beenden. Was tatsächlich gefehlt hat, ist ein Verständnis darüber, in welchem Ausmaß das Franco-Regime ein Unrechtsstaat war. Diese Belastung bleibt bis in die Gegenwart bestehen.
Till Kössler: „Franco - Der ewige Faschist“ (C.H. Beck, 367 S., 28 Euro)
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