„Fleischeslust“: Ein Metzger in der Sinnkrise
Erwin ist nicht mehr der Jüngste, doch er schuftet immer noch Tag für Tag in seiner Metzgerei. So recht loslassen kann er nicht, bei den Würsten macht ihm aber auch keiner etwas vor. Nicht nur den extra Schuss Weißwein im Cervelat wissen die Kunden zu schätzen. Dass es immer weniger werden und Erwin keinen Nachfolger findet, stört ihn weniger als seine Frau Margrit, die den Laden schmeißt.
Erwin wird nachts von Schweinen und Schafen gestellt
In Martin Oeschs neuem Comic „Fleischeslust“ werkelt der wortkarge Mann lieber, denkt nicht zu viel nach - bis er wieder einmal abgelaufene Ware zur Tierkörpersammelstelle bringen muss. Es stinkt bestialisch. Doch viel schlimmer: Von nun an wird Erwin nachts von Albträumen heimgesucht. Tiere tauchen auf, erst nur ein Tapir, mit dem er vor den alles vernichtenden Rodungskolonnen der künftigen Sojafelder fliehen muss. Dann Skelettberge, Krokodile, riesige Fleischverarbeitungsmaschinerien, Messer, Würste und schließlich immer mehr Tiere, die Metzgermeister Merz in seinem langen Berufsleben verarbeitet hat.

„Just do it“ - gleich geht es dem Meerschweinchen an den Kragen
Sogar ein räudiges altes Meerschweinchen ist darunter. Den Besitzern waren die 120 Schweizer Franken fürs Einschläfern beim Veterinär zu viel, also brachte man das lästig gewordene Tier zu Erwin, nett verpackt in einer Nike-Schachtel mit der saukomischen Aufschrift „Just do it“. Und spätestens bei solchen Details wird klar, dass Martin Oesch das Metier sehr gut kennt.
Der Illustrator und Musiker ist mit vielen Tieren auf einem Bauernhof bei Thun aufgewachsen, schlachten gehört da dazu. Und vor seinem Kunst- und Designstudium in Luzern hat er Metzger gelernt.

Martin Oesch hat mit Freunden eine Bio-Metzgrei gegründet
Es lag nahe, diesen Beruf ganz an den Nagel hängen, doch als Mitgründer einer Biometzgerei in Bern wollte Oesch sich auch nicht einfach aus der Affäre stehlen. Zumal das angebotene Fleisch von Boulotte-Rindern stammt, die artgerecht auf einem Hof in Stadtnähe aufgezogen werden. Und was der leidenschaftliche Zeichner auf dem Hof der Eltern erlebt hat, gilt auch in der eigenen Metzgerei: Vom Kopf bis zum Schwanz wird so gut wie alles verarbeitet oder verkauft.
Oesch spricht vom ehrlichen Handwerk und von einem Stück Kultur, das drohe, verloren zu gehen. Damit spielt der Autor gar nicht einmal auf die Veganer an, für die Nutztiere tabu sind, sondern auf die Fleischkonsumenten, denen es gar nicht billig genug sein kann. Der Rest wird ausgeblendet.
Erwins Ehefrau hat noch ganz andere Lust aufs Fleisch

Erwins alter Bekannter Joni hat das früh schon erkannt und ist Biobauer geworden. Mit Schweinen, die sich genüsslich im Dreck wälzen und klischeehaft glücklichen Kühen auf der Weide. Ganz so idyllisch geht’s in der Öko-Landwirtschaft zwar nicht zu. Doch Oesch gelingt es, seinen immer heftiger zweifelnden Metzger fern von den üblichen Klischees darzustellen. In „Fleischeslust“ sind alle etwas gröber unterwegs, das Brühwurst-Inkarnat zieht sich durchs gesamte Buch, und der Stoff gibt das ja auch her. Dafür sind Erwins Phobien und Fantasien ein echter Wurf.
Dass seine Frau Margrit dann ausgerechnet im Sado-Maso-Club nach Abwechslung sucht, weil im Ehebett nichts mehr läuft, ist ein bisschen drüber. Passt aber freilich zum fleischigen Thema.
Apropos: Wenn jemand nach der Lektüre bewusster Fleisch isst, hat Oesch sein Ziel erreicht. Mehr will er gar nicht, aber das ist schon eine ganze Menge.
Comic: Martin Oesch: „Fleischeslust“ (Edition Moderne, 200 Seiten, 29 Euro);
Buchvorstellung: 11. November 2025, 19 Uhr (Bar ab 18 Uhr), in der Reihe „Herbstmix“ mit Sophia Klink, Martin Oesch und Maya Rosa im Literaturhaus München, Salvatorplatz 1, Eintritt 10, ermäßigt 5 Euro
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