Ferdinand Gregorovius' "Korsika – Ort und Geschichte" neu herausgebracht: Zwölf Seelen für ein paar Stiefel

Michael Krüger hat Ferdinand Gregorovius' Reisebericht "Korsika – Ort und Geschichte" neu herausgebracht. Das Gemüt bleibt schwer.
Volker Isfort
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Herbstliche Gewitterstimmung im korsischen Fangotal.
Herbstliche Gewitterstimmung im korsischen Fangotal. © Foto: Volker Isfort

Als der britische Schriftsteller James Boswell 1769 seine "Beschreibungen von Corsica" veröffentlichte, gab er als Motivation für die Reise an, er habe an einen Ort gewollt, "den kein anderer Mensch gesehen habe". Das war damals schon eine gewagte Behauptung, schließlich gründet das politische Schicksal der Insel auf seiner zentralen Lage im Mittelmeer.

Und alle waren dort gewesen: Römer und plündernde Vandalen, maurische Piraten, Ostgoten, gefolgt von der Besetzung durch Pisa und schließlich der Republik Genua. Nur während Boswells Besuch gab es die kurze Phase der korsischen Selbstbestimmung unter Pasquale Paoli, den Boswell auch wirklich traf und mit dem er eng befreundet blieb.

Korsikas Geschichte: Als Sklaven zu trotzig für die Römer

Ein knappes Jahrhundert nach Boswell bereiste der deutsche Schriftsteller Ferdinand Gregorovius im Sommer 1852 die Insel, bevor er sich in Rom niederließ und später vor allem durch seine bis heute geschätzte, vielbändige "Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter" bekannt wurde.

Seine korsischen Erlebnisse publizierte Gregorovius 1854. Nun hat der Münchner Autor und ehemalige Hanser-Verleger Michael Krüger im Beck Verlag den Text - gekürzt - neu herausgegeben. Er habe auf seinen Korsika-Reisen den Gregorovius immer dabei gehabt, schreibt Krüger in seinem Nachwort, verzichtet aber leider darauf, seine eigenen Insel-Impressionen auszumalen, sieht man einmal von der Empfehlung einer "gewürzten Pilzsuppe und köstlichem Wildschweinbraten" ab.

Ferdinand Gregorovius schwärmt von der Gastfreundschaft auf Korsika

Aber natürlich ist Gregorovius ein unverzichtbarer Inselbegleiter, der keineswegs nur in Pastelltönen schreibt: "Die Korsen haben sich den wohlbegründeten Ruf der Arbeitsscheu bewahrt", heißt es an einer Stelle. Ein hart erarbeitetes Klischee mit langer Tradition: "Die Römer mochten keine Sklaven aus Korsika, weil sie zu trotzig waren."

Gregorovius schwärmt - wie Boswell - von der Gastfreundschaft, beschreibt aber auch eine gewisse Robustheit des korsischen Charakters: "Sie schießen hier viel wilde Tauben und Menschen." Dennoch schwingt fast Bewunderung mit, wenn Gregorovius über die Blutrache sinniert: "Zwölf Seelen sind noch zu wenig, um des Gefallenen Stiefel zu rächen. Das ist korsisch."

Eine Wanderung durch ein "kulturloses Land"

Nur der Geruch des korsischen Käses, der in "Asterix auf Korsika" ein Schiff explodieren lässt und den jeder Besucher einer Bergerie aus den korsischen Bergen kennt, bleibt bei Gregorovius seltsamerweise unerwähnt. Dabei ist der 1821 in Ostpreußen geborene und von 1874 bis zu seinem Tod im Alter von 71 Jahren in München lebende Schriftsteller ein überbordend sinnlicher Beschreiber der korsischen Natur mit einem erstaunlichen Wissen über die Flora der Insel.

Die Wanderung durch das "kulturlose Land" beschwingt seine Seele und er besteigt den Monte Rotondo, den er für den höchsten Gipfel der Insel hält. Das ist allerdings der knapp 90 Meter höhere Monte Cinto (2.709 Meter).

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Immer wieder kommt Gregorovius auf die beiden großen Inselsöhne Paoli und Napoleon zurück und besucht das schon damals zugängliche Geburtshaus Napoleons in Ajaccio: "Es ist doch ein seltenes, schwer zu sagendes Gefühl, das die Seele auf einer Stätte ergreift, wo ein großer Mensch geboren ward. Es schwebt um sie etwas Allerheiliges, Mystisches, eine geweihte Atmosphäre."

Mehr jedoch rührt ihn der Besuch der Casa Paoli im kleinen Dorf Stretta: "Ich stand voll Freude in dem kleinen Stübchen, wo Pasquale geboren wurde, und ich war froher bewegt als in dem Geburtszimmer Napoleons," schreibt er. "Paoli ist das schöne Gegenbild zu Napoleon, Menschenliebe zur Eigenliebe."

"Korsika – Ort und Geschichte": Abschied mit schwerem Gemüt

Nachdem er auch die südlichste Stadt der Insel, Bonifacio, besichtigt hat, kehrt Gregorovius zurück nach Bastia und mit dem Schiff nach Italien. "Doch wird es dem Gemüt schwer, von dem wunderbaren Eilande zu scheiden. Wie ein Freund ist es mir geworden," schreibt Gregorovius, vielen Inselfans geht es ebenso.

Wer Boswell und Gregorovius für eine Wanderung über die Insel in den Rucksack steckt, sollte aber auch auf Dorothy Carrington nicht verzichten. Ihr offenbar niemals auf Deutsch übersetztes Buch "Granite Island" (Penguin Classics) ist das wohl beste Buch über Korsika, was auch daran liegt, dass sie ein paar Jahrzehnte länger recherchierte. Die Liebe der Britin zur Insel begann 1948, wenige Jahre später zog sie nach Ajaccio, wo sie 2002 im Alter von 91 Jahren als Ehrendoktorin der Paoli-Universität starb.


Ferdinand Gregorovius: "Korsika - Ort und Geschichte" (C.H. Beck, 222 Seiten, 20 Euro)

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