Interview

"Expedition Polarstern": Forschen in der Eiswelt

Das ebenso bilder- wie lehrreiche Buch "Expedition Polarstern" erzählt Kindern und Jugendlichen von einer Fahrt in die Arktis und dem Klimawandel.
von  Philipp Seidel
Katharina Weiss-Tuider ist promovierte Literaturwissenschaftlerin. Sie war als Kommunikationsmanagerin am Alfred-Wegener-Institut für die Öffentlichkeitskeitarbeit der Expedition verantwortlich. Sie lebt in Berlin.
Katharina Weiss-Tuider ist promovierte Literaturwissenschaftlerin. Sie war als Kommunikationsmanagerin am Alfred-Wegener-Institut für die Öffentlichkeitskeitarbeit der Expedition verantwortlich. Sie lebt in Berlin.

Die Arktis hat großen Einfluss auf das Klima der Erde - ausgerechnet von dort gibt es aber kaum wissenschaftliche Daten. Im Herbst 2019 ist der deutsche Forschungseisbrecher "Polarstern" mit einem 100-köpfigen internationalen Wissenschafts-Team aufgebrochen, um sich auf einer Eisscholle ein Jahr lang durch die Arktis treiben zu lassen. Katharina Weiss-Tuider hat ein Jugendbuch über die Expedition und den Klimawandel geschrieben.

AZ: Frau Weiss-Tuider, was mich davon abgehalten hätte, diese Expedition zu begleiten, wäre eine Heidenangst vor den Eisbären. Hatten Sie diesbezüglich Begegnungen?
Katharina Weiss-Tuider: Einige, aber nur aus der Sicherheit des Schiffs. Ich war bei der sehr spannenden Startphase dabei, als die Scholle gesucht und das Eiscamp aufgebaut wurde. Zwei, drei Tage, nachdem wir das Meereis erreicht hatten, gab es die ersten Eisbärsichtungen. Durch meine Arbeit am Alfred-Wegener-Institut wusste ich, dass alle Vorkehrungen getroffen wurden, um mögliche riskante Begegnungen mit Eisbären zu vermeiden. Man könnte meinen, man kennt Eisbären, weil man mal einen im Zoo gesehen hat. Aber die Begegnung in freier Natur ist unglaublich eindrucksvoll. Wenn die Tiere beinahe unsichtbar und so leichtfüßig über die Eisdecke schreiten, erscheinen sie kolossal.

Die Mosaic-Expedition

Wie lange waren Sie an Bord?
Wir sind am 20. September 2019 aufgebrochen, zurückgekehrt sind wir Ende Oktober, Anfang November. Ich bin auf dem russischen Unterstützungseisbrecher zurückgereist.

Sie haben also die Nachricht von der Corona-Pandemie, die auch die Stimmung der fernen Expedition bestimmt hat, nicht in der Arktis miterlebt.
Nein, da war ich schon wieder an Land.

Die Mosaic-Expedition ist unglaublich gut dokumentiert, mit Filmen, Podcasts, dem Logbuch des Expeditionsleiters Markus Rex, einem Bildband, dessen Autorin Sie sind. Jetzt haben Sie ein auch für Erwachsene lesenswertes Kinder- und Jugendbuch geschrieben. Hatten Sie beim Schreiben über Arktis und Klimawandel Angst zu missionieren?
Ich glaube, bei heutigen Jugendlichen muss man nicht missionieren. Das Vorwissen ist bei den Jüngeren sogar oft größer als bei Älteren, weil die eigene Zukunft stark mit den Folgen des Klimawandels verbunden ist. Ich glaube, dass die Neugier sehr groß ist, die größeren Zusammenhänge zu verstehen und was das für das eigene Leben bedeutet. Die Jungen haben verstanden, dass es sie auch persönlich umso mehr betreffen wird, je weniger wir heute gegen den Klimawandel vorgehen.

Komplexe Inhalte verständlich illustriert

Man versteht gleich, auch wegen der tollen Illustrationen, worum es bei der Expedition und beim Klimawandel geht.
Das war mein Anliegen bei diesem Buch. Man konnte sich den Raum nehmen, die komplexen Inhalte so aufzubereiten, dass sie einerseits verständlich und andererseits spannend sind. Ich wollte auch zeigen, wie unglaublich spannend Forschung da draußen in dieser weit entfernten Eiswelt ist. Und wie bedroht die Region ist, und was das mit uns in Europa zu tun hat.

Hatten Sie eine feste Aufgabe an Bord, oder konnten Sie sich aufs Recherchieren und Schreiben konzentrieren?
Das Buch war eher ein Resultat davon, dass ich als Kommunikationsmanagerin für die Expedition zuständig war. Wir mussten die ganzen Kommunikationskanäle vor Ort einrichten, wir hatten ja unter anderem ein Ufa-Filmteam an Bord. Und wir hatten mit einigen Widrigkeiten zu tun, die sich aus der Abgelegenheit der Arktis ergeben haben: Wir konnten nur geringe Datenmengen nach Hause senden. Immerhin führte die Expedition bis zu 1500 Kilometer weit von der nächsten Siedlung weg. Selbst die ISS fliegt nur auf rund 400 Kilometern Höhe. Deswegen können Sie mit den Astronauten dort ein Videotelefonat führen, aber mit der "Polarstern" war das nicht möglich.

Aus dem Buch: Die "Polarstern", eingeschlossen vom Meereis.
Aus dem Buch: Die "Polarstern", eingeschlossen vom Meereis. © Verlag

Der Eintritt in eine andere Welt

Waren Sie zuvor schon mal in der Arktis oder Antarktis?
Noch nie. Das war meine erste Begegnung mit diesem Naturraum. Ich war auch noch nie so weit nördlich wie im Abfahrtshafen Tromsø in Nordnorwegen. Das war ein Eintritt in eine komplett andere Welt. Wenn man Bilder aus der Arktis sieht, sind die schon eindrucksvoll genug. Aber vor Ort ist das noch mal anders, weil auch die anderen Sinne angesprochen werden. Wenn man zum ersten Mal der arktischen Kälte begegnet, ist das eine Herausforderung. Auch dieses Dämmerlicht, wenn es vom Polartag in die Polarnacht übergeht. Das sind Sinneseindrücke, die wir in Mitteleuropa nicht kennen. Und wenn man in der Meereislandschaft steht, vergisst man immer wieder, dass es nur eine relativ dünne Eisschicht ist, die über diesem mehrere Tausend Meter tiefen Ozean liegt. Es ist wie auf einem anderen Planeten.

Wenn man die Hightech-Kleidung der Expeditionsteilnehmer sieht, ist es umso beeindruckender, dass Fridtjof Nansen diese Tour damals überhaupt überlebt hat.
Man fragt sich wirklich: Wie haben die das gemacht? Vor allem, wenn man am eigenen Leib gefühlt hat, wie es richtig kalt wird, wenn man versteht, dass man ohne Sicherheitsvorkehrungen dieser Eiswelt schutzlos ausgeliefert wäre und eventuell nicht überleben würde. Nansen und seine Mannschaft haben sich vor knapp 130 Jahren mit einem hölzernen Segelschiff in diese Region vorgewagt. Nansen hat sogar damit angegeben, sie hätten auf der "Fram" nicht mal heizen müssen. Also, auf der "Polarstern" wurde geheizt. Nansens damalige Kühnheit und den Mut im Namen der Forschung und der Neugier muss man bewundern. Nansen war aber auch ein sehr findiger Mensch, er hat sich stark an den Erfahrungen der Arktisbewohner orientiert, wie man sich am besten ausrüstet, wie man zum Beispiel den Zwiebel-Look wählen soll, um möglichst viel Wärmedämmung um den Körper herum aufzubauen.

Die Verletzlichkeit der Arktis

Wie haben Sie sich vorbereitet? Mussten Sie ein Training im Schnee absolvieren wie der Filmboxer Rocky?
Man überlegt sich schon gut: Möchte ich das körperlich machen? Von den erfahrenen Forscherinnen und Forschern am Alfred-Wegener-Institut bekommt man allerdings gute Tipps, dass zum Beispiel getrocknete Früchte eine extrem gute Energiequelle sind, wenn es auf Expedition mal anstrengend wird. Und wir hatten natürlich einen ausführlichen medizinischen Check, bei dem man buchstäblich auf Herz und Nieren getestet wird. Zwar hat die "Polarstern" ihr eigenes Medizinteam und einen OP-Saal, aber man darf sich natürlich nicht mit einem Risiko auf Expedition begeben, dann wäre man ja auch ein Risiko für die Expedition an sich.

Wie hat sich Ihr Leben nach den Erfahrungen in der Arktis verändert?
Ich war schon vorher im Klima- und Umweltschutz aktiv. In Deutschland kommt man mit dem Klimawandel scheinbar nicht so in Berührung, wenn man nicht gerade von einem Extremwetter überfallen wird oder es eine Dürreperiode gibt. Aber wenn man die Verletzlichkeit dieser eigentlich trutzigen Arktislandschaft mit eigenen Augen gesehen hat und das Hintergrundwissen hat, dann versteht man: Wenn wir jetzt nicht aufpassen, wird diese Welt verschwinden.

Und zwar buchstäblich.
Das Eis wird sich auflösen. Wenn man erlebt hat, auf welch dünnem Eis man sich da draußen buchstäblich schon befindet, nimmt man etwas mit nach Hause, das einen darin bestärkt, dass wir handeln müssen. Was sich dort verändert, betrifft eben nicht nur diese abgelegene Region, sondern auch unsere und alle anderen Regionen.

Katharina Weiss-Tuider: "Expedition Polarstern. Dem Klimawandel auf der Spur", Illustratotionen von Christian Schneider (cbj, 128 Seiten, 22 Euro)

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