Erich Kästner im Untergrund: Wie ein erfundener Dreh kurz vor Ende des zweiten Weltkriegs Leben rettete

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Der Hölle mit Satire zu begegnen ist eine Kunst, die selten gut geht: Dem großen deutsch-amerikanischen Filmregisseur Ernst Lubitsch ist das 1942 mit der Komödie "To Be or Not to Be“ gelungen, die dem Nationalsozialismus eine theatralische lange Nase zeigte. Die Geschichte von einer jüdisch-polnischen Theatertruppe, die im besetzten Warschau einen Besuch Hitlers einfach inszeniert, um zu entkommen, ist wunderbar erfunden.
"Das verlorene Gesicht“, Filmstart: nach dem "Endsieg“, Drehort: "Alpenfestung“
Aber manchmal schreibt auch die Wirklichkeit die besten Geschichten. Erich Kästner hat so eine in "Notabene 45“, einer Art essayistischem Tagebuch, notiert. Sein Freund Eberhard Schmidt war Produktionsleiter und Regisseur der Ufa. Die Nationalsozialisten hatten ihm bereits 1942 den aufwendigsten Film anvertraut - "Münchhausen“, wozu Schmidt den verfemten Erich Kästner unter Pseudonym das Drehbuch schreiben ließ.

Als sich Ende 1944 das Ende des "Dritten Reichs“ abzeichnet und klar wird, dass im "Endkampf“ noch Köpfe rollen werden, hat im Spätwinter Schmidt dann einen unglaublichen, riskanten Geheimplan: Er dreht dem Propagandaministerium in Berlin, als man glaubt, die Sowjetarmee schon hören zu können, noch ein Filmgroßprojekt an: "Das verlorene Gesicht“, Filmstart: Nach dem "Endsieg“. Drehort: in der "Alpenfestung“. Er schmuggelt noch Kästner auf die Filmcrew-Liste - und ab geht es Richtung Tirol, wo man sich in Mayrhofen einquartiert: mit schweren Kameras, großen Leuchten, aber ohne Skript - und ohne Filmrollen. Die hat man nicht vergessen. Es gibt sie gar nicht mehr, und der Film soll gar nicht entstehen. Es ist der Versuch, einige Leute aus der Schusslinie zu bekommen und ihnen das Leben zu retten.
Und so quartiert man sich im Zillertal bei Bauern und in Pensionen ein, spielt den Einheimischen die Komödie eines Filmdrehs vor - und wartet auf die Ankunft der Amerikaner, während Flüchtlingsströme vom sowjetisch umkämpften Wien ankommen, die Lebensmittelversorgung prekärer wird und die Stimmung sich extrem auflädt - mit NS-Funktionären und Fanatikern, die noch einmal alle als Kanonenfutter in den Volkssturm schicken wollen und "Drückeberger, Deserteure und Defätisten“ erschießen lassen.
Eine vorgespielte, lebensgefährliche Komödie
Der Altöttinger Schauspieler und studierte Opernsänger Anton Leiss-Huber, der auch Krimis schreibt, ist bei einer Kästner-Lektüre auf den "großen Ufa-Bluff“ gestoßen - und hat daraus einen Roman gemacht. Denn Kästners elegante Aufzeichnungen sind zu sporadisch, weitere Zeitzeugen-Quellen lückenhaft - und die Geschichte ohnehin so fantastisch, dass sie nach der Romanform schreit. Dabei könnte es aber gleich mehrere Fallstricke geben.

Da ist schon einmal die Frage der Wahrheit und Wahrhaftigkeit, denn "eine wahre Geschichte“ verlangt historische Genauigkeit. Leiss-Huber lässt hier aber nichts auf sich kommen: Seine kurzen Kapitel sind nach genauem Ort und Tag gegliedert, sodass er den Fortgang nach Wehrmachtsberichten, Zeitungsartikeln und Tagebucheinträgen richten konnte. Weil "Der große Ufa-Bluff“ aber kein reiner Recherche-Roman ist, sind manche Figuren erfunden, auch wenn man glaubt, in ihnen Ufa-Stars wiederzuerkennen. Die Mehrzahl der auftretenden Personen ist ohnehin historisch - wie der besagte Regisseur Eberhard Schmidt oder der Schriftsteller Erich Kästner.
Der Tiroler Gauleiter Franz Hofer hat ebenfalls einen Auftritt: als gefährlicher Fanatiker, der sich mit einem Set-Besuch schmücken will und von Eberhard Schmidt verlangt, gedrehte Filmsequenzen bei einer Feier vorgeführt zu bekommen - die es ja nicht geben kann.
Der Gauleiter will Bilder sehen und Marika Rökk tanzt
Leiss-Huber gelingt es, die Spannung aus einem Wettlauf mit drei Parteien zu generieren - wie der Filmcrew aus 60 Personen, deren Bluff unentdeckt bleiben muss. Dann gibt es die Bevölkerung mit gefährlicher Neugier und Skepsis sowie die NS-Funktionäre von Berlin bis zum Mayrhofener Ortsgruppenleiter, die mit Argwohn, zunehmender Nervosität und Brutalität agieren.
Und gleichzeitig nähern sich von Süden die Alliierten, sodass man bangt und hofft, dass sie endlich dem "totalen Krieg“ und dem NS-Wahnsinn ein Ende bereiten können.

Am Ende taucht auch noch der geerdete, gleichzeitig naive Wonneproppen Marika Rökk auf, um mit ihrer nervtötenden Unverdrossenheit den camouflierten Kollegen vom Film den letzten Nerv zu rauben- womit der Roman am Ende noch einmal ein Feuerwerk zündet.
Kein Heimatroman oder bergromantische Komödie
Dabei begeht der Autor nie den Fehler, aus der tragikomischen Situation in den Alpen einen Heimatroman oder bergromantische Komödie zu machen. Schon im Luxus-Luftschutzkeller des Berliner Hotels Adlon kommt echte Beklemmung und Todesangst auf - wobei man (10. November 1944) schnell noch einen Witz riskiert: "Kennste den schon? Wie wird Weihnachten?“ - "Keine Ahnung.“ - "Die Engländer setzen die Christbäume und machen anschließend Feuerwerk, die Flak liefert die Kugeln, Goebbels erzählt uns Märchen und wir sitzen im Keller und warten auf die Bescherung.“
Viel mehr als ein Wissen, dass "Christbäume“ die Bezeichnung für die Leucht-Markierungen waren, die die Alliierten für ihre Bombergeschwader zur Kennzeichnung am Boden setzten, verlangt der extrem gut lesbare, lebendige und dialog-witzige Roman nicht. In Nebensätzen wird die Mär vom "Wir haben nichts gewusst“ beiseite gewischt. Sogar ein bisschen Sex kommt vor - im Heuhaufen, aber unterbrochen vom im darin versteckten desertierten Wehrmachtsoldaten.
Und Kästner? An den Großmeister der ironischen Beobachtung hat sich Anton Leiss-Huber nicht groß rangetraut. Der sitzt entweder in seinen zwei (!) Zimmern - eins zum Schlafen, eins zum Schreiben - oder nachmittags gern im Waldcafé: "Die Tiroler sind nicht nur, wie es im Lied heißt, lustig. Sie haben auch andere Eigenschaften. Das bare Geld, das man mir am Bankschalter in Berlin aufnötigte, tut seine Dienste“, schrieb Kästner in "Notabene 45“. Und auch dass der Katholizismus ein Bollwerk gegen ideologische Nazi-Infiltration gewesen sei, ist hier eine klare Mär, auch wenn natürlich nicht alle Nazis waren - siehe die Filmcrew oder manche der gastgebenden Tiroler Bauern.
Anton Leiss-Huber: "Der große Ufa-Bluff“
(Gmeiner, 266 Seiten, 18 Euro)
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