Kritik

Erfrischend: Joachim Meyerhoffs Roman "Man kann auch in die Höhe fallen"

Der Schauspieler und Bestseller-Autor hat ein neues Buch geschrieben. Die AZ-Kritik
Michael Stadler |
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Ein Mann mit schillernden Facetten: Der Autor und Schauspieler Joachim Meyerhoff in der Schaubühne am Kurfürstendamm in Berlin.
imago images/tagesspiegel 3 Ein Mann mit schillernden Facetten: Der Autor und Schauspieler Joachim Meyerhoff in der Schaubühne am Kurfürstendamm in Berlin.
Joachim Meyerhoff als Sosias in Kleists "Amphitryon".
picture alliance/dpa 3 Joachim Meyerhoff als Sosias in Kleists "Amphitryon".
Joachim Meyerhoff.
picture alliance/dpa 3 Joachim Meyerhoff.

Der Sohn zweifelt an seinen schriftstellerischen Fähigkeiten, seine Mutter macht ihm Mut. "Es kommt mir oft irrelevant vor, was ich zu erzählen habe", klagt er ihr gegenüber. "Ach, das klingt ja regelrecht verzagt, mein lieber Sohn", erwidert sie und versichert ihm: "Glaub mir. Die Menschen brauchen Geschichten. Auch heitere Geschichten. Es muss nicht immer um alles gehen, wenn es gut erzählt ist."

Bei dem Sohn handelt es sich um Joachim Meyerhoff, als Schauspieler einer der ganz Großen des Theaters - zuletzt in München, wo er in Jette Steckels Inszenierung von Tschechows "Die Vaterlosen" an den Kammerspielen die Hauptrolle spielt - und, eben, längst auch erfolgreicher Schriftsteller.

Joachim Meyerhoff.
Joachim Meyerhoff. © picture alliance/dpa

Mit "Man kann auch in die Höhe fallen" legt Meyerhoff nun den sechsten Band seiner Romanreihe "Alle Toten fliegen hoch" vor und allein schon die Existenz des Buches kündet davon, dass er seine Schreibkrise offenbar überwunden hat. Zu Beginn erzählt er in einer rasanten Exposition davon, wie die Folgen eines Schlaganfalls, im letzten Roman "Hamster im hinteren Stromgebiet" ausführlich beschrieben, ihn weiterhin plagten. Sein Nervenkostüm war angeschlagen, die neue Wahlheimat Berlin unwirtlich dazu, weshalb er kurzentschlossen für ein paar Wochen zu seiner Mutter aufs Land floh.

Mutter taucht nackt und backt im Affenzahn Kuchen

Die verwitwete Pensionärin, einst Krankengymnastin von Beruf, wohnt auf einem weitläufigen Gelände in Schleswig-Holstein und erweist sich als äußerst vitale alte Dame. Wenn sie nicht gerade mit einem rüstigen Damenchor probt oder splitternackt in die naheliegende Ostsee springt, hackt sie Holz, mäht den Rasen oder backt "im Affenzahn" Kuchen. "Mutter isst", "Mutter taucht", "Mutter heilt" lauten die ersten Kapitelüberschriften - Meyerhoff zeichnet ein ausführliches, lustig-liebevolles Mutter-Porträt.

Joachim Meyerhoff als Sosias in Kleists "Amphitryon".
Joachim Meyerhoff als Sosias in Kleists "Amphitryon". © picture alliance/dpa

Je schwächer der besuchende Spross dabei wirkt, desto stärker erscheint die Erzeugerin. Die Komik, die aus dem Kontrast einer labilen Figur mit einer souveränen Umwelt entsteht, hat Meyerhoff bereits in anderen seiner Bücher ausgekostet. Als junger Schauspielstudent erlitt er ja bereits einige witzige Fehlschläge, wobei das frühe Losertum sich mit Blick auf die Zukunft relativierte: Aus dem unsicheren Eleven sollte ja eines Tages, wie jeder weiß, ein Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters werden.

Leiden für den Leser

Nach dem ähnlichen Humorprinzip lässt Meyerhoff nun den krisengebeutelten Sohn Mitte 50 auf die superpatente Mutter Mitte 80 treffen. Die Bezeichnung "Roman" gibt ihm dabei erneut Narrenfreiheit, womöglich erlebte Situationen in die Fiktion hinein zu dramatisieren. So muss der arme Erzähler immer wieder - zur Belustigung der Leser - heftig leiden, sei es, dass Meyerhoff sich von seiner Mutter zum Geburtstag eine wenig zimperliche Fußreflexmassage schenken lässt oder beim Friseur eine Behandlung mit heißem Wachs verabreicht bekommt, die zu bösen Schmerzen, aber auch freien Hörgängen führt.

Während ihn seine Mutter sogar dazu ermutigt, sie selbst zu einem Sujet des Romans zu machen, flicht Meyerhoff zunehmend Kindheitserinnerungen und Anekdoten aus dem Theaterbetrieb in das Buch ein, das er just an der Ostsee schreibt. Über den Horror, in einer mit Kolonialkritik überfrachteten "Dschungelbuch"-Inszenierung in Ulm als Panther Baghira auftreten zu müssen, berichtet er dabei genauso heiter wie über das (Un-) Glück, bei einer Herbert-Fritsch-Inszenierung in Berlin dabei zu sein.

Natürlich gibt es auch Fiktives und sogar Metafiktives

Komödienspezialist Fritsch forderte wie gewohnt vollen Grimassen-Einsatz. Meyerhoff lieferte. Aber: "Wenn ich nicht dran war, saß ich zusammengesunken hinter der Papierkulisse auf einem Stuhl, innerlich erloschen, ein uraltes Zirkuspferd mit gesenktem Kopfputz, nur um auf die nächste Fanfare hin den Autopiloten anzuwerfen und mit erhobenem Haupt hinaus in die Manege zu galoppieren."

Die Fabulierlust des schreibenden Schauspielers, sein unermüdlicher Sprachwitz machen auch dieses Buch zu einem Lesegenuss. Lockere Unterhaltung und literarischer Anspruch müssen sich nicht widersprechen, Meyerhoffs Bücher sind der beste Beweis dafür. Die Anekdote als literarische Form möchte er, sicherlich mit Blick auf das eigene Werk, mehr wertgeschätzt wissen: "Müde und ausgelaugt vom Besteigen literarischer Achttausender kann man sich hier erfrischen und kurz verweilen."

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Sein neuer Roman bietet erfrischende Kurzweil und ist zugleich ein Denkmal für die Mutter. Die gibt eine frisch in den Laptop getippte Erinnerung ihres Sohnes bei einer Lesung zum Besten, weil diesem kurz zuvor schlecht wird, und wird für ihre Vorlesekunst gefeiert. So ist man innerhalb des Romans dabei, wie er geschrieben und (vor)gelesen wird. Fiktion. Metafiktion. Alles drin in diesem Buch.

Joachim Meyerhoff: "Man kann auch in die Höhe fallen" (Kiepenheuer & Witsch, 368 Seiten, 26 Euro)

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