Kritik

Ein Comic über den Horror der Franco-Diktatur

In Spanien ein Bestseller, jetzt auf Deutsch: Rodrigo Terrasa und Paco Roca thematisieren die Massengräber des Franco-Regimes und erinnern an einen unfreiwilligen Bestatter, der den Toten eine letzte Würde gab
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Nicht jeder kann auf Menschen zielen, und mancher der Franco-Soldaten dürfte gewusst haben, wie die meisten Todesurteile zustande kamen. Rodrigo Terrasa und Paco Roca werfen einen Blick auf beide Seiten einer Gesellschaft.
Paco Roca, aus: “Der Abgrund des Vergessens“, eprodukt 3 Nicht jeder kann auf Menschen zielen, und mancher der Franco-Soldaten dürfte gewusst haben, wie die meisten Todesurteile zustande kamen. Rodrigo Terrasa und Paco Roca werfen einen Blick auf beide Seiten einer Gesellschaft.
Keine Scheu vor hartem Stoff: „El Mundo“-Journalist Rodrigo Terrasa (li.) und der in Spanien populäre Zeichner Paco Roca.
Alberto Di Lolli 3 Keine Scheu vor hartem Stoff: „El Mundo“-Journalist Rodrigo Terrasa (li.) und der in Spanien populäre Zeichner Paco Roca.
Unter dem Friedhof von Paterna bei Valencia liegt das vermutlich größte Massengrab der Franco-Ära.
Paco Roca, aus: „Der Abgrund des Vergessens“, Reprodukt 3 Unter dem Friedhof von Paterna bei Valencia liegt das vermutlich größte Massengrab der Franco-Ära.
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Selbst die Eidechsen fliehen in ihre Löcher. Vermutlich wissen sie schon, was passiert, wenn sich wieder eine Horde Uniformierter im Gleichschritt nähert. Dann wird hingerichtet auf El Terrer, das ist der Schießplatz der Artilleriekaserne in Paterna nahe Valencia. Es sind Francos Soldaten, die am Nachmittag des 14. September 1940 auf fünfzehn Republikaner zielen.

Über 50.000 Menschen ließ der spanische Diktator ermorden, und längst nicht nur politisch aktive Leute wie Kommunisten oder eben Republikaner. Es genügte, von einem Gefolgsmann angeschwärzt zu werden. Das sind die bekannten Auswüchse in Unrechtsregimen. Und nach der Beendigung des Spanischen Bürgerkriegs im Jahr 1939 gab es noch unzählige Opfer. Viele davon hat man in Massengräbern verscharrt.

Die Haarsträhne des Vaters hat Pepita wie einen Schatz gehegt

„Das wird bei uns gerne unter den Tisch gekehrt“, erklärt Rodrigo Terrasa. Der Journalist der Tageszeitung „El Mundo“ hat darüber immer wieder geschrieben, eine Geschichte ließ ihn allerdings nicht mehr los und bewog ihn zu einer Graphic Novel, die in Spanien bereits 60.000 Mal verkauft wurde. „Der Abgrund des Vergessens“ liegt jetzt in der deutschen Übersetzung vor.

Es war Josefa Celda, die Terrasa 2013 traf und die ihm eine in Seidenpapier eingewickelte Haarsträhne entgegenhielt. Der Fall der 81-Jährigen ging durch ganz Spanien, sie war 2011 die Letzte, die noch den von den Sozialisten angestoßenen staatlichen Zuschuss für die Exhumierung von Bürgerkriegsopfern erhalten hatte.

Pepe Celda wurde ein Mord angelastet, den er gar nicht begehen konnte

Der alten Damen blieb damals nicht mehr viel Zeit, ein Versprechen einzulösen, das sie der Mutter vor vielen Jahren gegeben hatte: den Vater neben ihr beizusetzen und dieses sich so zugetane Paar wenigstens im Tod zu vereinigen. Josefa, die alle nur Pepica nannten, war noch keine zehn Jahre alt, als ihr Papá 1940 in Paterna an der „Paredón de España”, der „Mauer Spaniens”, stand und im Kugelhagel starb. Ihm wurde ein Mord angelastet, den er gar nicht begangen haben konnte: Pepe war 100 Kilometer entfernt bei der Reisernte.

Drei Monate nach der Exekution wurde er begnadigt. Was blieb, war unsäglicher Schmerz - und ein Büschel Haare, das fortan wie ein Schatz gehütet wurde. 71 Jahre hat es schließlich gedauert, bis die Tochter nach einem bürokratischen Parforceritt ihre Lebensaufgabe beenden konnte. Das heißt: durch ein Team von Forensikern und Archäologen.

2000 Hingerichtete auf einem einzigen Friedhof


Dass überhaupt eine Chance bestand, Pepe Celda in einem anonymen Grab aufzuspüren, hat mit einer zweiten, genauso berührenden Geschichte zu tun. Denn während des ganzen Franco-Wahnsinns gab es in Paterna einen mehr als gewissenhaften Totengräber. Zwischen 1939 und 1945 hat er mehr als 2000 hingerichtete Männer und Frauen bestattet. Unfreiwillig natürlich, aber Leoncio Badía konnte nicht ablehnen, als ihn der Bürgermeister ansprach: „Willst du Arbeit, Roter? Dann begrabe deine eigenen Leute.“

Der junge Familienvater, der sich für Philosophie interessierte und Lehrer werden wollte, war selbst erst aus dem Gefängnis entlassen worden. Seine tiefe Menschlichkeit ließ er dann sechs bittere Jahre lang auf dem Friedhof von Paterna walten: Immer, wenn die Soldaten Hingerichtete ankarrten, versuchte er, diese Menschen so würdig wie möglich zu bestatten.

Fatal: Der Totengräber flog auf

Freilich in einem Massengrab. Aber Badía wusch das Blut von den Toten, faltete ihre Hände, reihte sie in den Gruben auf und notierte die Abfolge. Oft fügte er noch ein kleines Glasfläschchen mit einem Zettel hinzu, auf dem Name und Sterbedatum standen. Außerdem schnitt er Stoffstücke, Knöpfe und Haarsträhnen ab wie bei Pepe Celda und legte heimlich ein Archiv an, um diese Menschen vor dem Vergessen zu bewahren.

Doch Badía flog auf, seine Sammlung wurde zerstört. Vergeblich war die Arbeit dennoch nicht, denn auch im Grab von Pepicas Vater fand man Fläschchen. Pepe war allerdings so außerordentlich groß, dass die Archäologen ihn relativ gut unter all den Überresten bestimmen konnten. Insofern nahm diese Geschichte zumindest in Teilen einen tröstlichen Ausgang. Und selbst der verratene Totengräber hat überlebt, wenngleich er sein Auskommen fortan mit dem Flechten von Körben bestreiten musste.

Keine Scheu vor hartem Stoff: „El Mundo“-Journalist Rodrigo Terrasa (li.) und der in Spanien populäre Zeichner Paco Roca.
Keine Scheu vor hartem Stoff: „El Mundo“-Journalist Rodrigo Terrasa (li.) und der in Spanien populäre Zeichner Paco Roca. © Alberto Di Lolli

Das kaum Erzählbare wird im Comic fassbar


Absurd und wirr ist das alles, doch Rodrigo Terrasa und der in Spanien sehr populäre Zeichner Paco Roca haben diese kaum erzählbare Geschichte auf eindringliche Weise zu fassen bekommen. Grausige Bilder werden dabei nicht ausgespart, weder Leichenberge noch Blutlachen, auch nicht die beklemmenden Gefängnisszenen und familiäre Dramen. Es gibt nichts zu beschönigen, und im Comic kann man harten Stoff „erträglicher“ und leichter in die Breite einer Gesellschaft vermitteln.

Immerhin: Seit die Sozialisten unter Pedro Sánchez zurück an der Regierung sind, ist die Erinnerungskultur wieder ein Thema.

Paco Roca, Rodrigo Terrasa: „Der Abgrund des Vergessens“ (Reprodukt, 304 Seiten, 34 Euro)

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