Die verrauchte österreichische Wut - eine Abrechnung mit Thomas Bernhard

Heute vor 90 Jahren wurde der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard geboren. Aus diesem Anlass eine Abrechung.
Robert Braunmüller
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Der junge, aber schon grantige Thomas Bernhard um 1960.
Der junge, aber schon grantige Thomas Bernhard um 1960. © imago images/Everett Collection

Ab und zu gestatte ich mir doch eine Erregung", sagt der Professor in "Heldenplatz", "damit ihr nicht glaubt, ich bin schon tot. Das bin ich nicht im Gegenteil, der Körper ist kaputt aber der Kopf ist jeden Tag neu geboren. Das ist ein entsetzlicher Zustand".

Halb schrecklich, halb komisch

Im Original stehen da weder Punkte noch Komma. Denn die Figuren von Thomas Bernhard, der heute 90 Jahre alt geworden wäre, steigern sich gern in was hinein, maßlos, und ohne dass sonst jemand zu Wort käme. Für Außenstehende, die dergleichen mit Abstand vom Theater- oder Lesesessel wahrnehmen dürfen, ist das ein halb schrecklicher, halb komischer Genuss.

Hin und wieder wurde es auch politisch

Diese Spannung prägt Thomas Bernhards Figuren. Bisweilen war ihr Hass ziemlich wahllos, wie im Fall der Beschimpfung Augsburgs als "Lechkloake" in der Komödie "Die Macht der Gewohnheit". Hin und wieder wurde es aber - auf einer überhöhten Ebene - politisch. Etwa in "Heldenplatz", einem Auftragswerk des Wiener Burgtheaters zum 50. Jahrestag der Besetzung Österreichs durch Nazi-Deutschland, die 1938 mit einer heftig bejubelten Rede Hitlers auf diesem ominösen Aufmarschplatz vor der Neuen Hofburg in Wien vollzogen wurde.

Die Aufregung um das Theaterstück hängt mit Nazi-Verstrickungen zusammen

Die heute kaum mehr vorstellbare Aufregung um dieses Theaterstück hatte Gründe: Kurz vor dem Gedenkjahr 1988, das ziemlich verschwiemelt "Bedenkjahr" genannt wurde, war ein Mann zum österreichischen Bundespräsidenten gewählt worden, der (aus eigener Sicht) kein Nazi war, weil nur sein Pferd der SA angehörte: Kurt Waldheim. Damit begann eine lange verdrängte öffentliche Debatte um die Verstrickung von Österreichern in die Nazi-Verbrechen. Für ihre Fernwirkung ist die Anekdote bezeichnend, dass der durch die Ibiza-Affäre gestürzte FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache mit anderen Burschenschaftlern damals die Uraufführung von "Heldenplatz" im Burgtheater gestört hat.

Seine Skandale waren interessanter als seine Literatur

Der Satz des damaligen SZ-Korrespondenten Michael Frank, die österreichische Politik lege es darauf an, eine "größtmögliche Übereinstimmung der Wirklichkeit mit Bernhards grotesken Texten herbeizuführen", hat bis heute den Beigeschmack von Wahrheit. Damit ist aber auch ein Grundproblem der Texte und Theaterstücke Bernhards benannt: Das Drumherum und die aus deutscher Sicht kabarettreifen Skandale um Bernhard waren immer eine Spur interessanter wie seine Literatur.

Legendärer Krach bei den Salzburger Festspielen

Die Urszene dazu ereignete sich 1968, als Bernhard in der Dankesrede für die Verleihung des Österreichischen Staatspreises für Literatur behauptete, seine Heimat sei zu "Infamie und zur Geistesschwäche" verurteilt. Vier Jahre später gab es einen legendären Krach bei den Salzburger Festspielen, als der Autor bei der Uraufführung von "Der Ignorant und der Wahnsinnige" die Löschung des Notlichts verlangte, was die feuerpolizeilichen Bestimmungen nicht zuließen. Trotzdem folgte nur zwei Jahre später am gleichen Ort "Die Macht der Gewohnheit" mit Verstimmungen in "Lechkloake" Augsburg.

Seine Biographie überrascht

Zu Lebzeiten blieb Bernhard als Person weitgehend unsichtbar. Die emsige biografische Forschung hat mittlerweile allerlei herausgekramt: von den komplizierten und hochdepressiven Verhältnissen der Herkunftsfamile über die Krankheiten bis hin zur 14-jährigen Mitgliedschaft des Bauernhofbesitzers Thomas Bernhard im österreichischen Bauernbund. Das ist deswegen bizarr, weil es sich dabei um eine Teilorganisation der ÖVP handelt, einer Partei, die Bernhards Figuren als Ausgeburt der österreichischen Provinz besonders verhasst waren. Das alles ist in den über 30 Jahren seit Bernhards Tod am 12. Februar 1989 Teil des Österreich-Mythos geworden. Am Salzburger Landestheater prangt seit Jahren eine Gedenktafel zur Erinnerung an die fünf dortigen Uraufführungen, und der Hass auf die österreichische Provinz und ihre Hässlichkeit gehört mittlerweile zur Kulisse jedes Wolf-Haas-Krimis.

Nur ein Stück wird ab und an noch gespielt

Bernhards Theaterstücke sind weitgehend von den Bühnen verschwunden. Nur "Vor dem Ruhestand" taucht als Anti-Nazi-Stück hin und wieder in den Spielplänen auf. Es handelt vom Gerichtspräsidenten Höller, der jedes Jahr in SS-Uniform den Geburtstag Heinrich Himmlers feiert. Anlass des 1979 in Stuttgart uraufgeführten Stücks war die Affäre um den baden-württembergischen Ministerpräsidenten und ehemaligen Marinerichter Hans Filbinger, der nach Enthüllungen des Dramatikers Rolf Hochhuth zurücktreten musste.

Adaptionen seiner Werke waren schon zu Lebzeiten schwierig

Auch zu Bernhards Lebzeiten fiel es Regisseuren und Schauspielern schwer, sich von den berühmten Ur-Inszenierungen zu lösen. Eigentlich gelang es nur Claus Peymann, mit Schauspielern wie Bernhard Minetti oder Traugott Buhre den musikalischen Rhythmus der Sprache mit einer halbwegs gewahrten Natürlichkeit auszubalancieren. Dieter Dorn, der das passende Ensemble dafür gehabt hätte, rührte nach der Uraufführung von "Die Macht der Gewohnheit" keines der Stücke mehr persönlich an. Auf diese Weise wurde Bernhard oft komödiantisch ins Groteske verzappelt, was den Texten nicht gut tut.

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Jede Katastrophe hat auch eine gemütliche Seite

Von Bernhards Prosa ist hier nicht grundlos erst nach dem Theater die Rede. Die Absage an die Möglichkeit einer sinnhaften Existenz, das zentrale Thema des Autors, tendiert zum Monolog, in dem die Figuren ihre Obsessionen ausbreiten und mit denen die (meist männlichen) Hauptfiguren ihre stumme Umgebung quälen. Das erinnert, nicht zufällig, an Samuel Beckett, allerdings gemildert durch die Abwesenheit jeder Metaphysik des Tragischen und durch die österreichische Atmosphäre, die jeder Katastrophe etwas Gemütliches verleiht.

Bleibt von ihm die kabarettistische Parodie?

Die Provokation, die von Bernhard zu Lebzeiten ausging, wird sich im kommenden Jahrzehnt bis zum 100. Geburtstag weiter abschleifen. Was bleibt, ist womöglich die kabarettistische Parodie. Wer die eingangs zitierte Passage aus "Heldenplatz" in eine Suchmaschine eingibt, stößt bald auf eine recht gelungene Bernhard-Kopie, in der sich jemand maßlos über die Verschmutzung von Klettersteigen aufregt. Das Salzburger Landestheater zeigt auf seiner Homepage noch bis zum 3. März eine Inszenierung von "Heldenplatz" mit August Zirner in der Hauptrolle

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