Die politische Brust
Taugt ein Kanzlerinnen-Busen zum Skandal? Beim Besuch der neu eröffneten Oper in Oslo trug Angela Merkel im Jahr 2008 ein weit ausgeschnittenes Kleid. Da konnte auch der kleinste Michel feststellen: Huch, Deutschlands Kanzlerin ist eine Frau. Und die konservative Presse schwadronierte mit Blick in Mutti Merkels Dekolleté verbrämt Chauvinistisches, was das Zeug hielt.
Merkels Abendgarderobe legte die "offenbar immer noch wirksame Inkongruenz von Weiblichkeit und Macht" frei, stellt die Kunsthistorikerin Anja Zimmermann in ihrem lesenswerten und mit feiner Ironie durchsetzten Band fest. Die Ex-Kanzlerin trug jedenfalls nie wieder Ausschnitt.
Sichtbarkeit weiblicher Geschlechtsmerkmale
Von der Venus von Willendorf über die Amazonen-Kämpferinnen zu den Femen-Aktivistinnen - in ihrem Buch untersucht die Autorin anhand von historischen Beispielen seit der Steinzeit das Verhältnis von der Sichtbarkeit weiblicher Geschlechtsmerkmale und ihrer sich wandelnden Bedeutungszuweisung. Und verfolgt zugleich einen auch in der Wissenschaft wirksamen Sexismus, die in "direkter Linie vom Paläolithikum zum Pin-Up-Girl" führt. Ihr Buch versteht sich als Fortsetzung und Ergänzung zu Mithu M. Sanyals 2009 erschienener Abhandlung über die Vulva.
Der männliche Blick
Der Busen ist nicht nur eine nackte Tatsache, sondern gehörte auch stets zur Darstellung des Weiblichen, ob als Ideal- oder Zerrbild. Das Motiv blieb gleich, die Interpretation wechselte. Aber wann war ein sichtbarer Busen ein guter Busen? Das zu entscheiden, lag die längste Zeit in der Verantwortung des männlichen Blicks.
Als darstellungswürdig galt er, wenn er als Attribut einer innig liebenden Mutter zur Schau gestellt wurde: Das war schon bei den Darstellungen der Göttin Isis mit Horus im Alten Ägypten so und diente der christlichen Kunst seit dem frühen Mittelalter als Vorbild für die stillende Maria lactans mit dem Jesusknaben.
Doch nicht einmal auf die Notwendigkeit mütterlichen Stillens konnte man sich über die Jahrhunderte einigen, da mischte sich sogar Rousseau ein. Und die Prioritäten (Schönheit, Gesundheit, Sittlichkeit) wechselten: Anfang des 19. Jahrhunderts empfahl der Arzt Konrad Anton Zierlein tatsächlich sogar Ziegen als die besseren Ammen.
Göttinnen bedecken sich
Und auch als sexuell attraktive, aber unantastbare Frau präsentierten sich etwa die Venus von Botticelli oder Cranach oben ohne. Die Venus pudica hielt sich allerdings seit der Antike eine Hand vor die Scham. Und die Hure war von der reinen Göttin nie arg weit entfernt: "Der Anblick eines schönen Busens ist für uns nicht ungefährlicher als der des Basilisken", beschrieb im 17. Jahrhundert ein katholischer Theologe. Gänzlich verwirrt wäre der Arme wohl, wenn man ihm "Boobs have no Gender", den Slogan der Gleiche-Brust-für-alle-Aktivist*innen entgegenrufen würde, den die Autorin an den Anfang ihres Buches stellt.
Dass Amazonen wiederum amputierte Brüste hatten, um besser mit Pfeil und Bogen schießen zu können, entlarvt sie indes als ein Märchen, das eigentlich nur misogyne Männer in die Welt gesetzt haben können. Und sie zeigt im Folgenden auch die rassistischen Muster auf, nach denen etwa die barbusige Josephine Baker oder die genannte "Hottentotten-Venus" zum exotischen Sex-Objekt degradiert wurden.
Blanker Busen als Protest
Auch dass der Kampf gegen das Korsett nicht immer Ausdruck des Willens zur Frauenbefreiung war, zeigt Zimmermann auf. Zwar war es für die Frauenrechtlerinnen der Weimarer Republik, etwa für die in München unter anderem durch das Fotoatelier Elvira berühmte Anita Augsburg oder die hier praktizierende Ärztin Bridget Adams-Lehmann Ausdruck der Unterdrückung, die es - im bequemen "Reformkleid" - zu überwinden galt. Doch ein anderer Strang der Natürlichkeits-Ideologie führte zur Frau als Gebärmaschine und damit zum perversen NS-Mutterkult.
Den blanken Busen als "Protestorgan" (Zimmermann) machten sich nicht erst die ukrainischen Femen-Aktivistinnen, sondern bereits die Feministische Avantgarde der 1960er Jahre zunutze. Neben Frederike Pezold und Ulrike Rosenbach darf da die österreichische Künstlerin Valie Export nicht fehlen, die 1968 mit der Performance "Tapp- und Tastkino" am Stachus gemeinsam mit ihrem Mann Peter Weibel dazu einlud, ihre Brüste, die hinter einem Kasten verborgen waren, anzufassen. Damals auch ein Busen-Skandalon, wenn auch ein unsichtbares.
Seit diesem Jahr darf frau oben ohne ins Berliner Schwimmbad - was man vom sommerlichen Englischen Garten aus mit Erstaunen zur Kenntnis nahm. Von der ersehnten echten Gleichheit sind wir aber noch weit entfernt. Immer noch ikonisch ist das Bild einer Frau mit unverpackten Brüsten in Führungsposition ist Delacroix' Revolutionsgemälde von "Die Freiheit führt das Volk an". Eigentlich die perfekte Vorlage für das nächste Kanzler*innen-Porträt, oder?
Anja Zimmermann: "Brust. Geschichte eines politischen Körperteils" (Wagenbach, 269 Seiten, 28 Euro)
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