Daniel Kehlmann und Omri Boehm über Kant
Die beiden sind Männer der klaren Sprache. Daniel Kehlmann hat zahlreiche, sehr erfolgreiche und gut lesbare Romane verfasst. Omri Boehms Buch "Radikaler Universalismus" weist unter Berufung auf Immanuel Kant modische Vorstellungen von Identität zurück und plädiert allgemeinverständlich für den Respekt vor dem Individuum und seiner Freiheit.
Kehlmann und Boehm haben nun zum 300. Geburtstag Kants ein Dialog-Buch vorgelegt, das auf ein intensiv durchdiskutiertes Wochenende zurückgehen soll. Der Titel "Der bestirnte Himmel über mir" verweist bereits auf ein bekanntes Zitat, das den Ausgangspunkt bildet. Den Gegenpol bildet ein bekanntes Nietzsche-Zitat, das von klugen Tieren in einem Winkel des Weltalls spricht, die hochmütig und verlogen von Erkenntnis sprachen, ehe ihr Planet wieder verglühte.
Der bestirnte Himmel über uns - hinter den Wolken
Die Autoren stellen sich auf die Seite Kants, des Menschen und seiner Individualität. Ihre Debatte zu Kants Definition des Erhabenen ist noch halbwegs nachvollziehbar. Dann sprengt das Buch auf über 200 Seiten die übliche Form eines Gesprächsbuchs, in dem normalerweise eher locker und leicht über Schwieriges debattiert wird.
Kehlmann, der über Kant promovieren wollte, seine Dissertation nach ersten schriftstellerischen Erfolgen aber liegenließ, veranstaltet mit Boehm ein stolzes Kant-Oberseminar, das streckenweise so unzugänglich bleibt wie sein Gegenstand. Philosophisch nicht geschulte Leser werden dem Gespräch nur schwer folgen können. Und das ist auch deshalb schade, weil Boehm - wie Hörer des Podcasts "Jung & Naiv" wissen - auch mündlich ein guter, zugespitzt und präzise argumentierender Erklärer ist.
Die zuletzt viel diskutierte Frage, ob Kant Rassist gewesen sei, streifen Boehm und Kehlmann, um sie vorschnell als modische Debatte abzutun: Derlei stehe in Kants Nebenwerken, die Hauptwerke verträten universelle Werte, die ohne jeden Rassismus für jeden Menschen gelten. Auf das naheliegende Argument, Kant sei nicht nur großer Philosoph, sondern auch ein typischer Mensch des 18. Jahrhunderts gewesen, kommen beide nicht.
Kann Kant performative Kunst erklären?
Ohnehin bleibt Boehm eine historische Perspektive ziemlich fremd. Kant, Platon, Spinoza und Nietzsche treten als Zeitgenossen auf. Kants ästhetische Theorie wird in dieser zeitlosen Sphäre ausgerechnet an einem performativen Kunstwerk des Malers Andreas Slominski erklärt, das seinem Besitzer erlaubt, zwei Eier an die Wand zu werfen.
Ob Kants Kategorien dafür ausreichen? Ja, so finden Boehm und Kehlmann hier und an anderen Stellen arg autoritativ, weil der Philosoph diverse Probleme abschließend so geklärt habe. Man müsse ihn nur lesen.
Das wirft allerdings die Frage auf, wieso es nach Kants Zerstörung aller Gottesbeweise überhaupt noch Gläubige gibt. Weil Religion für Naive und Dienstboten wie Kants Diener nötig sei, so die weniger befriedigende Antwort, die auf Heinrich Heine zurückgeht. Einleuchtender ist da schon Kehlmanns und Boehms Vorstellung des unendlichen Gesprächs über Kunst, die in ihrer Lesart auf Kant zurückgeht.
Eine verpasste Chance
Nach vielen Überlegungen in der eisigen Sphäre der Abstraktion und der Gottesbeweise diskutieren die Autoren noch etwas lebendiger Kants Problemstellung, ob die Frage eines an der Tür klopfenden Mörders wahrheitsgemäß beantwortet werden muss, die Boehm eher skeptisch beantwortet.
Im Anhang stößt der Leser dann auf eine Passage aus Heines "Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland", auf die Kehlmann und Boehm im Verlauf ihres Gesprächs immer wieder zurückgekommen sind. Und man stellt staunend fest: Tatsächlich, man könnte auch ganz unkantisch über Kants Philosophie reden. Heine macht das in der ihm eigenen Art so journalistisch, dass es durchaus oberflächlich genannt werden darf. Das müsste vielleicht auch nicht sein, aber irgendwo zwischen Heine und einer hochspezialisierten Kant-Tagung hätte man sich Kehlmann und Boehms Gesprächsbuch gewünscht.
Und da man an einigen Stellen auch auf die Idee kommen könnte, die beiden wären keine wirklichen Experten für Mathematik und Naturwissenschaft, ist das Buch eher eine verpasste Chance. Philosophen dürften es zu schwatzhaft finden, als Einführung in Immanuel Kants Philosophie ist "Der bestirnte Himmel über mir" gänzlich ungeeignet, so spannend es bisweilen auch ist, die beiden Gesprächspartner beim Denken zu begleiten.
"Der bestirnte Himmel über mir. Ein Gespräch über Kant" (Propyläen, 350 S., 26 Euro)
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