Buch über Albanien in der Diktatur: Mit Enver Hoxha und Sophia Loren

"Es gibt auf der Welt viele schöne Städte an hässlichen Orten; es gibt hässliche Städte an hässlichen Orten; aber man findet kaum eine hässliche Stadt wie Shkodra, die am schönsten Ort der Welt erbaut wurde." Stefan Capaliku muss es wissen, schließlich wurde er 1965 im nordalbanischen Shkodra geboren, hier spielt auch sein Roman "Jeder wird verrückt auf seine Art".
Inzwischen ist Albanien eine boomende Tourismusregion
Inzwischen ist Albanien eine boomende Tourismusregion mit Shkodra als Ausgangspunkt für die Ausflüge ins spektakuläre Gebirge. Capalikus Roman aber führt zurück in die Zeit, als Diktator Enver Hoxha mit eiserner Faust das Land in ein großes Gefängnis verwandelt hatte. Fast niemand konnte das Land verlassen oder besuchen - und der Rest der Welt wusste fast nichts von den Lebensumständen im rückständigsten und ärmsten Staat Europas.
Die katholische Kirche wird gesprengt und jegliche Religion verboten
Die Politik sickert allerdings nur allmählich in die von Capaliku ausgebreitete Familiengeschichte, denn der Erzähler ist ein Junge und mit ganz anderen Problemen beschäftigt: der Angst vor dem Besuch des Zahnarztes in der Schule, dem Schwindelgefühl beim Erblicken der nackten Nachbarin im Badezuber.
Das Leben im Shkodra der 60er Jahre ist ein gemächlich fließender Strom aus Dorfklatsch und Verwandtenbesuch, Kaffee und Raki. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse: Die katholische Kirche wird gesprengt, der Pfarrer inhaftiert und jegliche Religion verboten.
Als der Vater einen Fernseher mitbringt...
Noch einschneidender ist allerdings die Dienstreise des Vaters, der als Agronom eine herausragende Stellung besitzt. Er bringt aus Rumänien eine "Venus" mit. Dieser erste Fernseher in Shkodra rückt die Familie in den Mittelpunkt. Zwar sendet das albanische Fernsehen nur vier Stunden am Tag, aber mit Drehen der Antenne halten nun Rai Uno, Fellini und Sophia Loren Einzug in stets überfüllte Wohnzimmer.
Der Dorfintellektuelle Benjamin übersetzt - neben dem TV-Gerät sitzend - simultan und Dorfspitzel Kristo Patanaku installiert sich voller Neid eine Antenne auf seinem Dach. Nur zu einem eigenen Fernseher reicht es dann nicht mehr.
Stefan Capaliku: Seltener Einblick in den albanischen Alltag in dunklen Zeiten
Geschickt balanciert Stefan Capaliku zwischen skurriler Balkanidylle und politischem Abgrund, erst im letzte Drittel verfinstert sich die Stimmung der Erzählung vollends. Ein Lastwagen fährt über die Dörfer und präsentiert zwei jugendliche Leichname - beim Fluchtversuch erschossen. Die Anteilnahme der Menschen aber liegt bei den Familien der Opfer, die als Bestrafung für Jahrzehnte in entlegene Regionen verbannt werden.
Als sich im April 1985 die Nachricht vom Tod des Diktators verbreitet, verbietet der Vater dem Sohn das Haus zu verlassen. "Als Stalin 1953 gestorben ist", erinnerte er sich, "wurden unzählige Menschen eingesperrt, nur weil sie lachend gesehen wurden." Stefan Capalikus kurzer, intensiver Roman bietet einen seltenen Einblick in den albanischen Alltag in dunklen Zeiten.
Stefan Capaliku: "Jeder wird verrückt auf seine Art" (Transit, 160 Seiten, 18 Euro)