Kritik

Ayelet Gundar-Goshen über ungebetene Gäste

Der neue, politisch aufgeladene Roman der israelischen Schriftstellerin erkundet die Verstrickung des Menschen in komplexe Schuldfragen
Michael Stadler |
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Die Schriftstellerin und Psychologin Ayelet Gundar-Goshen wurde 1982 in Tel Aviv geboren, wo sie mit ihrer Familie lebt. Neben Romanen schreibt die Drehbücher für israelische Kurzfilmproduktionen.
Die Schriftstellerin und Psychologin Ayelet Gundar-Goshen wurde 1982 in Tel Aviv geboren, wo sie mit ihrer Familie lebt. Neben Romanen schreibt die Drehbücher für israelische Kurzfilmproduktionen. © imago/Italy Photo Press
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Wen man bei sich zu Hause willkommen heißen will oder nicht, ist eine komplexe Frage, die sich metaphorisch auf größere Themenkomplexe, etwa Migration und „Willkommenskultur“, ausweiten lässt.

„Ungebetene Gäste“ heißt der neue Roman der israelischen Autorin Ayelet Gundar-Goshen. Der Titel lässt sich auf gleich mehrere Handlungsebenen dieses in drei Teile gegliederten Werks beziehen, wobei die erste Kapitelüberschrift „Gastfreundschaft“ lautet.

Das ist wohl auch ironisch zu lesen, denn der Fremde, den Naomi in ihre eigenen vier Wände, in einer im fünften Stock befindlichen Wohnung in Tel Aviv, hereinlässt, behandelt sie eher vorsichtig. Ein Handwerker soll den Balkon frisch streichen und ausbessern, so war es mit ihrem Gatten Juval ausgemacht. Der engagierte einen arabischen Arbeiter für den Job, was Naomi, die mit ihrem vierzehn Monate alten Sohn Uri alleine in der Wohnung ist, mit Misstrauen erfüllt.

Menschen am Strand von Tel Aviv.
Menschen am Strand von Tel Aviv. © picture alliance/dpa

Der arabische Arbeiter, der selbst Kinder hat, erweist sich jedoch als harmlos und freundlich, weiß den unruhigen, laut werdenden Uri sogar mit versierten Zungenschnalzern zu beruhigen. Als er die Toilette aufsuchen möchte, erlaubt es ihm Naomi natürlich, fühlt sich jedoch unwohl, macht sich Sorgen um den hygienischen Zustand der Toilette - und lässt ihren kleinen Sohn aus den Augen, der auf den Balkon krabbelt und einen Hammer des Handwerkers herabfallen lässt.

Eskalation bis zur Katastrophe

Der Hammer trifft einen jugendlichen Passanten, der noch auf der Straße seiner Kopfverletzung erliegt. Eine Menschenmenge strömt auf den Toten zu; von einem Anschlag ist sofort die Rede, eine Nachbarin ruft: „Araber renovieren im fünften Stock!“. Und schon wird der von der Toilette zurückkehrende Handwerker, der von nichts weiß, von der Polizei aus der Wohnung geführt.

Rasant, mit untergründiger Spannung lässt die Autorin diesen Anfang bis hin zur Katastrophe eskalieren, reißt dabei ihre Leser schnörkellos in das Geschehen hinein. Dass Ayelet Gundar-Goshen Psychologie in Tel Aviv und danach Film und Drehbuch in Jerusalem studiert hat, war schon in ihren vier vorherigen Romanen deutlich spürbar. Ihre Bücher sind stark handlungsgetrieben, bieten sich für Verfilmungen an - aus „Löwen wecken“ (2015) macht der US-Sender NBC eine Serie - und überzeugen durch ihren nuancierten psychologischen Realismus.

Die neue Stadtbahn von Lagos.
Die neue Stadtbahn von Lagos. © picture alliance/dpa/XinHua

Anstatt den Unfall sofort bei der Polizei aufzuklären, verfällt Naomi in ein Schweigen, das sie auch gegenüber ihrem heimkehrenden Mann Juval nicht bricht. Als der dreizehnjährige Sohn des Handwerkers, Said, auftaucht und seinen Vater abholen will, schmeißt Juval ihn aus der Wohnung, greift jedoch entschlossen ein, als die unten versammelte Meute auf den potenziellen weiteren „Attentäter“ eindrischt. Zusammen mit Naomi und Uri bringt Juval den verletzten Said nach Hause, fährt in ein arabisches Dorf, das von der israelischen Gemeinde ansonsten gemieden wird, und erlebt bei der Familie des Handwerkers tatsächlich: Gastfreundschaft.

Gemeinsamkeiten, Differenzen und Ressentiments

Während man nun weitere, direkte Verwicklungen mit Blick auf das Unglück erwarten würde, lässt Gundar-Goshen ihre Protagonistin Naomi doch ihr Schweigen brechen: Sie erzählt ihrem Mann, dass Uri den Hammer fallen ließ, und macht auch vor der Polizei eine (verspätete) Aussage. Der Fall kommt vor Gericht, ein Urteil wird gesprochen - das meiste erfährt man jedoch im Rückblick.

Denn im zweiten Kapitel befinden sich Naomi, Juval und Uri bereits in Nigeria, haben die Flucht vor den Ereignissen in ihrer Heimat ergriffen und geraten in neue Konflikte, die einerseits mit den posttraumatischen Folgen des Unfalls zu tun haben - Sohn Uri, mittlerweile zwei Jahre alt, wird von Albträumen gequält, hat also bewusst oder unbewusst etwas von dem Unfall mitbekommen, den er zufällig verursacht hat-, aber vor allem auch mit der Arbeit, die Juval in Nigeria annimmt.

Er soll eine Bergungseinheit aufbauen, welche die medizinische Versorgung israelischer Piloten garantieren soll, die mit der afrikanischen Luftwaffe zusammenarbeiten. Wie Israel Ende der Sechziger sowohl die Militärregierung als auch die rebellischen Separatisten in Nigeria unterstützte, handelt Ayelet Gundar-Goshen prägnant ab, verdeutlicht damit, dass Juval durch seine Arbeit ungewollt in die Tradition der israelischen Einmischung in die Politik Nigerias tritt.

Ayelet Gundar-Goshen.
Ayelet Gundar-Goshen. © Tal Shahar

Gemeinsam mit seiner Familie wohnt er in einer abgeschirmten israelischen Gemeinschaft in Lagos - wer sind nun die „ungebetenen Gäste“? Zu dieser Frage hat auch die schwarze Juristin Ayobami eine klare Meinung. Sie bietet Naomi einen Job und ihre Freundschaft an, verfolgt dabei eine ganz eigene Agenda. Dass die Psychologin, zu der Naomi und Juval gemeinsam mit Uri gehen, mit Juval vor vielen Jahren ein Verhältnis hatte, gehört zu den weiteren Zufällen dieses Romans.

Komplexe Handlungsfäden

Mit „Ungebetene Gäste“ erkundet Ayelet Gundar-Goshen erneut die Verstrickung des Menschen in komplexe Schuldfragen und lotet die Gemeinsamkeiten, Differenzen und Ressentiments zwischen verschiedenen Ethnien aus: Die israelische Familie ist in Tel Aviv mit der arabischen Minorität konfrontiert, in Afrika werden sie selbst zur nicht unbedingt willkommenen Minderheit.

Die kollektive wie private Vergangenheit, so zeigt die Autorin eindrücklich, lässt sich nicht so leicht abschütteln: Der älteste Sohn des Handwerkers meldet sich telefonisch bei Naomi, um von ihr Geld zu erpressen; der Vater des durch den Hammer erschlagenen Jugendlichen taucht in Lagos auf.

Die einzelnen, sich teilweise verstrickenden Handlungsfäden hält Gundar-Goshen sicher in der Hand; die psychologischen Details stimmen. Aber als Leser muss man schon (gast-) freundlich gestimmt sein, um diesen überkonstruierten Roman uneingeschränkt genießen zu können.

Ayelet Gundar-Goshen: „Ungebetene Gäste“ (Kein&Aber, 306 Seiten, 25 Euro).
Am 18. September kommt die Autorin um 19 Uhr ins Literaturhaus am Salvatorplatz (deutsche Lesung: Xenia Tiling).
Karten unter www.literaturhaus-muenchen.de

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