Interview

Anita Blasberg im AZ-Interview: "Vertrauen in die Politik verschwindet nicht über Nacht!"

Warum wenden sich so viele Menschen von der Politik ab? Die Journalistin Anita Blasberg hat dazu recherchiert.
von  Heidi Geyer
Die Frankfurter Skyline mit zahlreichen Bankentürmen. Die Finanzkrise war für viele Bürger ein Schlüsselerlebnis.
Die Frankfurter Skyline mit zahlreichen Bankentürmen. Die Finanzkrise war für viele Bürger ein Schlüsselerlebnis. © picture alliance/dpa

AZ-Interview mit Anita Blasberg: Die 45-jährige Journalistin bei der "Zeit" ist durch ihre Mutter auf die Idee gekommen, ein Buch zu schreiben.

AZ: Frau Blasberg, wie sind Sie darauf gekommen, über den Vertrauensverlust in die Politik in Deutschland zu schreiben?
ANITA BLASBERG: Das Thema begleitet mich eigentlich seit 2016 - die Wahl von Trump, der Brexit, das waren ja Alarmsignale: Zeichen dafür, dass das Vertrauen nicht nur am Rand, sondern in der Mitte der westlichen Gesellschaften erodiert war. Da waren auf einmal immer mehr Menschen, die sich von der etablierten Politik nichts mehr erhofften, die sie sogar offen verachteten. Auch bei uns gab es jetzt einzelne Stadtteile, in denen gerade noch jeder Vierte zur Wahl ging, Studien, in denen eine Mehrheit äußerte, dass es ja doch keinen Unterschied mehr mache, wer unser Land regiert. Ausschlaggebend für das Buch war aber dann meine Mutter: der vielleicht vertrauensvollste Mensch, den ich kannte. Eine glühende Demokratin und Helmut-Schmidt-Verehrerin. Als ich während des ersten Corona-Lockdowns merkte, dass sie ihren Glauben an beinahe alles eingebüßt hat - die politischen Institutionen, die Wissenschaft, die Medien - da hat mich das so überrascht, auch schockiert, dass ich das unbedingt verstehen wollte.

Anita Blasberg.
Anita Blasberg. © Vera Tamm

Immer weniger "common ground"

Ihre Mutter hat die Tagesschau nicht mehr angesehen, weil sie kein Vertrauen mehr hatte. Hat Sie das als Journalistin nicht auch wütend gemacht?
Ja, natürlich. Wir hatten heiße Auseinandersetzungen und immer weniger "common ground", was die Fakten angeht. Meine Mutter informierte sich damals viel über Blogs und begann, die klassischen Medien zunehmend zu meiden. Sie hat die Berichterstattung zu Corona als zu einseitig empfunden.

"Vertrauen ist nichts Irrationales"

Hat der Vertrauensverlust nicht auch etwas mit zu hohen Erwartungen zu tun, so nach dem Motto "der Staat soll alles richten"?
Die Wissenschaft hat da ziemlich klare Erkenntnisse: Vertrauen ist nichts Irrationales, es basiert auf Fakten. Wenn also so viele Menschen in Deutschland und anderswo ihr Vertrauen in den Staat und die etablierte Politik eingebüßt haben, dann muss etwas passiert sein. Dann muss sich etwas verändert haben - nicht nur bei den Menschen, sondern bei ihren Ländern. Und das war mein Impuls: Ich wollte herausfinden, was das ist.

Haben Sie Antworten gefunden?
Wissen Sie, Vertrauen verschwindet nicht von heute auf morgen, es ist dehnbar. Verloren geht es meist durch sogenannte Schwellenerlebnisse: Punkte, an denen Menschen ihr Vertrauen durch eine massive Enttäuschung einbüßen. Bei vielen im Osten war das beispielsweise das Agieren der Treuhand. Für viele SPD-Wähler waren das die Hartz-Reformen, für Menschen mit ausländischen Wurzeln die NSU-Morde. Einige Liberale konnten dem Staat die Corona-Maßnahmen nicht verzeihen. Für meine Mutter und sehr viele andere war die Finanzkrise von 2008 ein Schlüsselerlebnis. Nicht in erster Linie die Krise selbst, die zu laxe Gesetze herbeigeführt hatten, sondern vor allem die Tatsache, dass sich später zu wenig geändert hat. Die meisten Experten schätzen die Risiken am Finanzmarkt heute immer noch als zu hoch ein.

Anita Plasbergs Buch "Der Verlust".
Anita Plasbergs Buch "Der Verlust". © Rowohlt-Verlag

Zugleich konsumieren viele Menschen Politik heute, anstatt sich selbst zu engagieren. Wie passt das zusammen?
Meine Erfahrung ist eher, dass diejenigen das Vertrauen verlieren, die besonders engagiert sind. Da denke ich etwa an eine Klinikärztin, die ich für mein Buch interviewt habe, und die ihren Beruf mit sehr viel Herzblut ausgeübt hat, schließlich im Burnout landete, weil sie den Kostendruck im Gesundheitssystem nicht mehr ertragen hat. Aber natürlich ist es schon so, dass die Politik infolge der Globalisierung gewisse Erwartungen gar nicht mehr erfüllen kann. Dafür ist der einzelne Staat heute in vielerlei Hinsicht zu abhängig und allein gar nicht handlungsfähig, weder bei der globalen Steuerkriminalität, noch bei der Bekämpfung des Klimawandels. Womöglich enttäuscht diese staatliche Ohnmacht gerade Ältere, die das früher noch anders erlebt haben.

Wie steht es um junge Menschen?

Haben junge Menschen denn mehr Vertrauen in den Staat?
Ich fürchte, nein. Die Studien sind eher alarmierend und zeigen, dass viele Junge pessimistisch in die Zukunft blicken und nicht mehr daran glauben, dass es ihnen mal so gut gehen wird wie ihren Eltern. Das alte bundesrepublikanische Aufstiegsversprechen scheint nicht mehr zu gelten: Konnten die Eltern sich noch ein Häuschen erarbeiten, selbst wenn sie nicht studiert hatten, können sich heute selbst doppelverdienende Akademiker, die nichts geerbt haben, in den Ballungszentren kaum mehr eine eigene Immobilie leisten. Und natürlich ist der Klimawandel ein zentraler Punkt. Wie oft haben Regierende sich in Sonntagsreden selbst aufgefordert, etwas gegen die Erderwärmung zu tun - und dann im Alltag doch das meiste beim Alten belassen? Doch jede Schutzmaßnahme, die wir heute aus Angst vor Unannehmlichkeiten unterlassen, wird die junge Generation mit noch viel drastischeren Maßnahmen und Unannehmlichkeiten bezahlen.

Was kann die Ampel tun, dass die Bürger ihren Glauben an die Politik nicht verlieren?
Reden und Handeln müssten wieder stärker zusammenpassen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir sprechen von einer wertebasierte Außenpolitik, erkennen zerknirscht die Fehler der Vergangenheit im Umgang mit Russland, beklagen unsere einseitige Energie-Abhängigkeit - und verkaufen dann doch Teile eines wichtigen deutschen Hafens an China. Ich könnte Ihnen noch viel mehr aufzählen, aber ich glaube, es gibt einen zentralen Kern: Das Gefühl, dass die Bürgerinnen und Bürger bei der Politik nicht mehr an erster Stelle stehen. Dass sich mächtige Einzelinteressen zu oft gegenüber dem Interesse der Allgemeinheit durchsetzen. Oder wie es der frühere FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher nach der Finanzkrise einmal ausdrückte: Es schien plötzlich wahr, was immer furchtbar falsch zu sein schien - der alte linke Satz "Das politische System dient nur den Reichen". Genau dieser Eindruck, dieses Gefühl, müsste ernstgenommen und korrigiert werden. Zum Beispiel, indem die Politik sich wieder stärker an dem ausrichtet, was eine Mehrheit der Menschen will. Willkürlich herausgegriffen: einen Immobilienmarkt etwa, der nicht in erster Linie für Profite, sondern für bezahlbaren Wohnraum sorgt.

Über Chancen in der Krise

Sind der Krieg in der Ukraine und die Energiekrise nun eher eine Chance, dass die Bürger ihrem Staat wieder mehr vertrauen, oder ein Risiko?
In Krisen liegt grundsätzlich eine Chance. In Krisen kann sich eine Regierung beweisen. Ich fürchte nur, bislang hat die Ampelkoalition durch ihre Uneinigkeit nicht unbedingt dazu beigetragen, Vertrauen zu schaffen. Ich denke da nur an den Gaspreisedeckel, dem ein ewiges Gezerre um die Gasumlage vorausging. Das hat in anderen Ländern besser und schneller geklappt. Zudem wird - wie schon in den letzten Krisen - leider viel zu wenig dafür getan, die Lasten gerecht zu verteilen.

Wie geht es Ihnen persönlich - haben Sie noch Vertrauen in den Staat?
Natürlich. Ich glaube vor allem an unsere Demokratie. Alle vier Jahre haben wir die Wahl. Gefährlich ist aber, dass immer mehr Menschen denken: "Es ändert sich ja doch nichts." In Italien haben wir gerade erst gesehen, wozu das führen kann.

Was sagt Ihre Mutter zu dem Buch?
Sie mag es. Es behandelt ja auch genau die politischen Themen, die ihr wichtig sind. Was mich genauso überrascht wie erleichtert hat: Als sie vor Drucklegung auf das Manuskript schauen durfte, damit sie sich richtig wiedergegeben fühlt, hatte sie nur winzige Änderungsvorschläge.

Anita Plasbergs Buch "Der Verlust" ist bei Rowohlt erschienen. Es hat 400 Seiten und kostet 23 Euro.

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