Ailton Krenak: Die Erde als vollkommene, unsterbliche Göttin

Der brasilianische Umweltaktivist Ailton Krenak gibt Tipps zum Umgang mit unserem Planeten.
von  Christian Muggenthaler
Ailton Krenak.
Ailton Krenak. © Neto Gonçalves

Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Frage, wie der Planet Erde vor der endgültigen Zerstörung durch seine Ausbeutung gerettet werden kann.

Während man in bevorzugten Ländern in Europa und Nordamerika diese Frage vielleicht noch als Livestyleproblem behandelt, ist sie für viele indigene Völker in den Regenwäldern längst konkret und existenziell bedrohlich geworden.

Rücksichtslose Politiker beschleunigen die Abholzung

Die Vernichtung von Flora und Fauna, ihrer Lebensgrundlagen und Kultur durch die rasche Ausbreitung beispielsweise von Palmölplantagen und Weidegründen zugunsten des Luxus der reichen Länder schreitet beständig weiter fort - gefördert auch durch den rücksichtslosen Politikstil von Männern wie Jair Bolsonaro, dem amtierenden brasilianischen Staatspräsidenten.

Betroffen von dieser Entwicklung sind also auch jene indigenen Völker Amazoniens, die wie die Krenak an den Folgen der massiven Umweltzerstörung leiden, die durch den Dammbruch des Klärbeckens der Bergbaudeponie Fundão der Erzbergwerkfirma Samarco bei Mariana im November 2015 angerichtet wurde.

Ailton Krenak schreibt über die Situation der indigenen Völker

Der Umweltaktivist Ailton Krenak beschreibt in einer jetzt auf Deutsch vorliegenden Sammlung von Beiträgen und Interviews die Situation der indigenen Völker.

Denn die Ursache des Zerstörungswerks ist der von rücksichtsloser Expansion getragene Geist des Immer-Mehr und Immer-Weiter. Ihm stellt der Autor die Haltung des Menschen gegenüber, der die Natur respektvoll als göttliche Lebenssphäre miteinbezieht.

"Die Vorstellung, weiße Europäer dürften losziehen und die übrige Welt kolonisieren, basierte auf der Annahme, es gebe eine Menschheit, die aufgeklärt ist und sich aufmachen müsse, den Teil der Menschheit, der in Dunkelheit lebt, mit diesem unglaublichen Licht zu beglücken", schreibt Krenak.

Das Lebenskonzept anderer wird entwertet und vernichtet

Es handelt sich hier um einen unfassbaren Dünkel, kraft dessen sich ein Teil der Menschheit berechtigt fühlte, seine existenzielle, religiöse und philosophische Sichtweise dem "Rest" der Welt einfach überzustülpen.

Das Lebenskonzept anderer Völker wurde dadurch entwertet oder gleich ganz vernichtet. Das führte zu dem Klischee unterentwickelter Ethnien - von "Wilden", von denen man sich nicht vorstellen konnte, dass ihre Einstellung zur Welt auch berechtigt sein könnte.

"Es gibt noch ungefähr 250 Ethnien in Brasilien, die sich voneinander unterscheiden wollen und mehr als 150 Sprachen und Dialekte sprechen", sagt Krenak.

Die Erde als unsterbliche Göttin

Und diese Völker haben eine komplett andere Umgangsform mit dem, was sie umgibt: "Alle alten Geschichten nennen die Erde Mutter, Pacha Mama, Gaia. Eine vollkommene, unsterbliche Göttin, ein Quell der Gnade, der Schönheit und des Überflusses."

Des Mit- und Füreinanders, aber eben nicht des Inbesitznehmens durch Ausbeutung. Es geht in Krenaks Buch nicht um die naive Vorstellung eines natürlichen Gutseins des Menschen, sondern um ein womöglich gangbares Gegenmodell.

Ailton Krenak bereitet der Zustand einer Welt Sorgen, in der der Wirtschaft ein größerer Wert als dem Menschen eingeräumt wird: in der, um seine Metapher zu verwenden, dem Schiff größere Bedeutung als der Besatzung beigemessen wird.

Was unweigerlich zu einer Degradierung des Einzelnen zum Konsumenten führe.

Die unreflektierte Konsumentenhaltung muss abgelegt werden

Die Lösung kann nach Ailton Krenak darin liegen, diese unreflektierte Konsumentenhaltung abzulegen, in gemeinschaftlichen Kategorien zu denken und zu leben und die Folgen des eigenen Tuns für Natur und Umwelt mitzudenken (zum Beispiel auf Produkte mit Palmöl zu verzichten).

Und ganz allgemein: mündig zu werden, sich zu engagieren. Nicht den Erfolg Einzelner zu bewundern, sondern für das Überleben der ganzen Menschheit zu kämpfen.

Dieses Gegenmodell beinhaltet für Krenak unbedingt auch Leistungen der Kunst und Kultur: Geschichten erzählen, tanzen, singen, beten, malen trägt, weil es nicht in ökonomischen Erfolgsdaten darstellbar ist, stets auch etwas Oppositionelles in sich.

Doch am Ende, so insinuiert uns Krenak, ist das einzige, was man zum Überleben braucht, der eigene Körper. Und der wird durch die Zerstörung seiner Lebensbasis bedroht.

Denn auch der allen gemeinsame Heimatplanet könnte ernsthaft zurückschlagen: "Die Erde kann uns einfach ausschalten, uns die Luft abdrehen, und das ohne großes Getöse."

Ailton Krenak: "Ideen, um das Ende der Welt zu vertagen" (btb, 144 Seiten, 10 Euro)

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