Brenner und die Moleküle

„Meine Projekte sind so verletzlich wie Salzburger Nockerln.“ Der österreichische Kultautor Wolf Haas über seine Lesungen und die Zartheit ungeschriebener Bücher
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„Meine Projekte sind so verletzlich wie Salzburger Nockerln.“ Der österreichische Kultautor Wolf Haas über seine Lesungen und die Zartheit ungeschriebener Bücher

Wenn Krimi-Autor Wolf Haas („Komm, süßer Tod“) so weiter macht, liest er bald nicht mehr – wie heute – im ausverkauften Audimax, sondern in der Olympiahalle. Im Interview verrät der Autor (48), weshalb er seine „Brenner“-Romane mit gebeugtem Oberkörper liest und was schreiben mit dem Rieseln der Moleküle zu tun hat.

AZ: Herr Haas, Sie haben mal gesagt, dass es unlauter sei, aus den eigenen Büchern zu lesen.

WOLF HAAS: Ja, weil der Witz an meinen „Brenner“-Büchern diese künstliche Mündlichkeit ist, die ich in die Schriftlichkeit hineinmische. Ich hatte Sorge, dass sich das aufheben könnte, wenn ich aus meinen Büchern vorlese. In der Praxis ist es allerdings so, dass meine Bücher auf Lesungen sehr gut funktionieren. Gerade wegen dieser Mündlichkeit. Wenn ich „Pass auf, was ich Dir erzähle“ lese, stelle ich mir immer vor, dass der Text meine Leser oder Zuhörer am Kragen packt und nicht mehr loslässt.

Daher auch Ihre bucklige, nach vorne gebeugte Körperhaltung, wenn Sie lesen?

Ich stelle mir den Erzähler der „Brenner“-Bücher nie als Figur oder konkreten Menschen vor. Da ist einfach nur diese Sprache, die bei mir diese Körperhaltung erzeugt. Die gehört einfach dazu. Ich schau auf Fotos, die bei Lesungen gemacht wurden, übrigens immer gleich drein: a bisserl blöd.

Haben Sie Lampenfieber, wenn Sie vor Hunderten von Leuten lesen?

Das einzige Mal, wo ich so etwas wie Lampenfieber gespürt habe, war vor meiner Lesung im Burgtheater. Da habe ich zu meiner eigenen Verwunderung gemerkt, dass mir der Mythos „Burgtheater“ gar nicht so wurscht ist wie ich gedacht hatte. Ich war auf einmal fest überzeugt, dass die Strafe für so etwas Großkotziges wie einen Auftritt im Burgtheater auf dem Fuß folgen muss: Irgendwas wird schief gehen und diesen Auftritt verhindern, dachte ich, aber es lief super.

Was gibt Ihnen der Kontakt mit den Lesern?

Es sind immer wieder drei oder vier Leute dabei, die etwas sagen, was mich wirklich freut. Es ist ja nicht so, als wüsste der Autor alles über sein Buch. Neulich meinte jemand, „Brenner und der liebe Gott“ könne auch so verstanden werden, dass damit der Brenner und sein allwissender, gottähnlicher Erzähler gemeint sind. Das fand ich so gut, dass ich es für Interviews gleich als eigenes Statement übernommen habe.

Lachen Sie beim Schreiben eigentlich über ihre Pointen?

Laut habe ich noch nie dabei gelacht. Manchmal reib’ ich mir innerlich die Hände. Das Faszinierendste am Schreiben ist ja, dass man immer schon vorher weiß, ob es ein guter oder schlechter Tag wird. Manchmal wache ich auf und denke mir: Mist! Schlecht geträumt, nicht genug geschlafen, zu viel getrunken, ungutes Gefühl. Und dann gibt es die Tage, wo man aufwacht und merkt, dass alle Moleküle im Schlaf an die richtige Stelle gerieselt sind.

Welches neue Buch holen Sie gerade aus Ihrem Unterbewusstsein hervor?

Ich komme aus dem Salzburger Land, da gibt es die Salzburger Nockerln. Wenn man die ansticht, fallen sie zusammen. Genauso ist es mit meinen Projekten. Wenn ich darüber rede und merke, mein Gegenüber ist nicht sofort hellauf begeistert, denk’ ich gleich: Das taugt sowieso nichts. Meine unfertigen Bücher sind so verletzlich wie Salzburger Nockerln.

Warum kommt München in Ihrem jüngsten Buch nicht vor, obwohl der Bösewicht doch aus München stammt?

Das hatte ich vor. Aber ich halte mich eben nie an meine ursprünglichen Konzepte. Eigentlich wollte ich die Handlung von Österreich ein wenig nach München rücken. Aber wie bei einem Gummiband, das man zu sehr dehnt, ist mir die Handlung nach Österreich zurückgeschnalzt. Dafür kommt Kitzbühel vor. Das ist so eine Art Klein-München, wenn man etwas böse sein will.

Claus Lochbihler

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