Blick ins Spiegelkabinett
Tom Waits hat ein neues Live-Album herausgebracht. Barney Hoskyns porträtiert den Künstler, der im Dezember 60 wird, in einer neuen, eindrucksvollen Biografie
Die alten Showeffekte funktionieren immer noch am besten“, konstatiert Barney Hoskyns anerkennend, als zu „Make It Rain“ Goldstaub auf Tom Waits rieselt. Im Juli 2008 hat Hoskyns Waits auf seiner „Glitter & Doom“-Tour im schottischen Edinburgh besucht. Eben erschienen ist „Glitter & Doom Live“, die Album-Dokumentation zur Tour. Und unlängst erschienen ist Barney Hoskyns’ Biografie „Tom Waits. Ein Leben am Straßenrand“.
Während Waits weiter und tiefer in sein musikalisches Spiegelkabinett blicken lässt, in dem man sich verliert, um am Ende glücklich ratlos vor der vielfachen Ausführung des kunstvoll verknitterten amerikanischen Hobos zu stehen, versucht Hoskyns, die überfällige und detaillierte Zusammenschau eines Künstlerlebens zu liefern. Unautorisiert, weil Waits alle Versuche, ihm ein Statement zu entziehen, abblockte, als wäre sein Leben ein Hochsicherheitstrakt. Aber respektvoll, weil Hoskyns nichts weniger will, als diesem Künstler ein Leben zu unterstellen. Da wird jeder aufgenommene Song einzeln gewürdigt. Das mag zu viel sein, aber die Genauigkeit, mit der alle erreichbaren Quelle hinterfragt werden, ist unabdingbar bei Waits, der das Ausschmücken, wenn nicht Erfinden biografischer Daten als Teil seiner ganz eigenen Lebensperformance begreift.
Mehr Performer als Musiker
Hoskyns verzichtet auf das Schnüffeln im Privaten, wenn es sich nicht über Interviews belegen lässt. Am weitesten vor wagt er sich am Anfang der Biografie, als der trinkende, aber jugendlich rebellisch wirkende Lehrer-Vater die Familie verlässt. Hoskyns lässt seinen Waits fortan nach Vaterfiguren suchen. Im Kern aber konzentriert sich Hoskyns darauf, das Puzzle der künstlerischen Einflüsse zusammenzusetzen. So ursprünglich Waits heute scheinen mag, als junger Mann existierte er neben seiner Zeit. Entdeckte über Dylan den Kerouac. Und ist auch heute noch, wie die neue Live-CD zeigt, eher beat-poetischer Performer als Musiker.
Die zweite CD des aktuellen Doppelalbums ist eine gut halbstündige Spoken-Words-Performance. Als klavierklimpernder Schwadroneur raunzt Waits nicht nur über das Liebesleben des Spinnenmännchens und Merkwürdigkeiten aus dem Tierreich, sondern berichtet auch über eine Art Buchstabensuppe aus lauter Hakenkreuzen während der Nazi-Zeit. Der erfindungslustige Gedanken-Jam ist immer ein Spiel mit den Erwartungen des Publikums, das ihn mit Zwischenrufen zu einem neuen Song bewegen will.
Inszeniertes Privatleben
Als die Endsechziger sich zwischen Psychedelic und Cock-Rock in die Zukunft schossen, baute ein einsamer Waits an einem Gegenmodell aus Revue-Jazz und versoffenem Kaschemmen-Crooner, war in den 70ern mit seinem Waits-Jazz immer noch näher am Punk als an allen Prog-Rock-Rettungsversuchen, aber weit außerhalb irgendwelcher Szenen. Sensibel spürt Hoskyns den Verflechtungen nach zwischen dem verbeulten Bühnentrinker und der jahrelangen Inszenierung des Privatlebens im Tropicana Motor Hotel, der legendär schäbigen Rock’n’-Roll-Absteige in L.A. und Dauerresidenz Tom Waits’. Er führt die erste Phase konsequent zur bis heute dauernden Ehe mit Kathleen Brennan, die Waits bei seiner Arbeit an der Filmmusik von Francis Ford Coppolas „One From The Heart“ kennenlernt.
Vielleicht haben die Ehesicherheit und die auf drei Kinder anwachsende Familie Waits den Mut zur kompletten Klangneuerfindung mit „Swordfishtrombones“ von 1983 gegeben. Hier schält sich aus der Night-Club-Rolle das Waits’sche Sumpfmonster zwischen New-Orleans-Beerdingungszug und verrottetem Delta-Blues, das auch auf den 17 Songs von „Glitter & Doom“ wieder zu besichtigen ist.
Die tränengebrochene Dramatik von „Fannin Street“, der Mülleimer-Funk von „Such A Scream“, das albträumerische „I’ll Shoot The Moon“ aus der Bühnenmusik des „Black Rider“ oder die Blues-Apokalypse „Get Behind The Mule“ – diese Live-Mitschnitte streifen alle musikemotional wichtigen Momente der letzten zwanzig Waits-Jahre. Und mit jedem neuen Album scheint seine Stimme an grotesker, kreatürlicher Körperlichkeit zu gewinnen.
Christian Jooß
„Glitter & Doom Live“ (Anti); Barney Hoskyns: „Tom Waits. Ein Leben am Straßenrand“ (Heyne, 704 Seiten, 24.95 Euro)