Bilderstürmers Kitschfalle
Es muss ein Hauch von Zeitgeist sein, der diese unterm Generalverdacht von Süßstoff-Doping stehende „Rusalka” von Antonín Dvorák plötzlich in die Arme der wildesten Opernregisseure treibt. Nach Stefan Herheim in Dresden und Martin Ku?ej in München griff nun auch Barrie Kosky in Berlin zu.
An der Komischen Oper, deren Intendanz er nächstes Jahr übernimmt, inszenierte der gerne mal gleichzeitig an „Kiss me, Kate” und „Götterdämmerung” arbeitende Aus-tralier das magische Märchen von der liebenden Nixe absolut entwässert. Auch der Mond, dem die beliebteste Arie gewidmet ist, bleibt ausgesperrt. Dafür regelt die Titelheldin ihr Schicksal am Ende eigenhändig am Angelhaken des Prinzen. Eine radikale Inszenierung – und neben viel Applaus gab es nur minimalen Protest dagegen.
Bisher hatte Kosky den Berlinern von Verdi bis Ligeti lauter schöne bunte Opernwelten gebaut, doch diesmal wird an Farbe und Pappe gespart. Hinter dem Orchestergraben baute Klaus Grünberg den Raum in der Architektur des Bühnenportals zu. Eine karge Spielfläche, die nur von schmaler Tür und, als Noteingang für Seebewohner, einer Hundeklappe unter der Sitzbank entlüftet ist, rückt alle Figuren schärfstens ins Blickfeld.
Da wird die fischschwänzige Rusalka, wenn sie in romantischer Liebeswallung das giftige Zaubermittel für Seele mit Beinen verlangt, auf den OP-Tisch geschnallt und drastisch von Gräten befreit. Tanzen muss sie beim Prinzen (Timothy Richards oft hart an der Grenze) dann auch lernen, und die Sopranistin Ina Kringelborn aus Norwegen spielt diese Liebe mit Querschlag sehr glaubwürdig nicht etwa als Opfer, sondern wie den staunenden Mittelpunkt eines zwangsläufig missglückenden Abenteuers. Eine Blondine von Hitchcock-Format, eine Stimme mit Zukunft.
Die Regie interessiert sich nicht für den Gegensatz mythischer und menschelnder Welten, sie zeigt ein pietistisch verklemmtes Universum des vorigen Jahrhunderts mit der Inspirationsquelle von Michael Hanekes Film „Das weiße Band”. Alles wird zu freudlos schwarzen Gestalten geballt, ein gleichfarbiger Kater endet – eben noch lebend gekrault – im Fleischwolf.
Der junge Chefdirigent Patrick Lange, der das Orchester mit einigen Poesie-Grobheiten lenkt, gestattet der Regie mehrfach das Einpflocken quälender Stille. In der glänzenden Personenregie, die Dvorák mit Strindberg verkuppelt, ist das beglaubigt.
So überwältigend wie Ku?ej in München gelingt Kosky sein Gegenentwurf aber nicht, weil er am Ende schwächelt. Wenn Rusalka bei der Angelrute des toten Prinzen ihre Zunge für die Ewigkeit einhakt, macht das beim Zuschauen Phantomschmerzen – nicht wegen der Spitze, sondern weil da ein Bilderstürmer am Ende in die eigene Kitschfalle tappt.
Dieter Stoll
Wieder am 20., 26. Feb., 3., 13., 17. März, Infos: www.komische-oper-berlin.de