Biennale Cuvée 2009 in Linz: Vorstellungen, die Welt zu verändern

Die "Kulturhauptstadt Europas 2009" bietet eine Weltauswahl der Gegenwartskunst: Die "Biennale Cuvée" in Linz zeigt aktuelle Arbeiten von 38 Künstlerinnen aus 23 Ländern - der Schwerpunkt liegt auf Kunstprojekten von den jungen Biennalen in Asien.
von  Abendzeitung

LINZ/MÜNCHEN - Die "Kulturhauptstadt Europas 2009" bietet eine Weltauswahl der Gegenwartskunst: Die "Biennale Cuvée" in Linz zeigt aktuelle Arbeiten von 38 Künstlerinnen aus 23 Ländern - der Schwerpunkt liegt auf Kunstprojekten von den jungen Biennalen in Asien.

In drei Stunden nach Asien? Das geht natürlich auch trotz Globalisierung nicht: Wer sich jedoch für aktuelle Gegenwartskunst interessiert, kann bei einem Kurztrip nach Linz derzeit eine Topauswahl der ambitioniertesten Arbeiten der asiatischen Kunstbiennalen von Yokohama, Gwangju, Seoul, Singapour und Taipeh aus dem Jahr 2008 erleben - diese Chance sollte man sich nicht entgehen lassen. Unter dem Titel "Biennale Cuvée" zeigt das Offene Kulturhaus Oberösterreich (OK) noch bis zum 15. Mai eine Weltauswahl der Gegenwartskunst. Zu sehen sind in der "Kulturhauptstadt Europas 2009" insgesamt 38 Projekte von Künstlerinnen und Künstlern aus 23 Ländern - von elf der wichtigsten Biennalen des vergangenen Jahres. Darunter große Namen wie Hans Haacke oder Luigi Ontani, viele junge asiatische Künstler und Künstlerinnen wie Nevin Aladag oder Petra Gerschner, die nach ihrer Münchner Akademiezeit beide ihren Weg auf die internationale Bühne gefunden haben.

Bestandsaufnahme der globalen Misere

"Die Gegenwartskunst muss eine viel größere Rolle bei der Gestaltung des öffentlichen Raums spielen", fordert Martin Sturm, einer der beiden Kuratoren. Der Direktor des OK hat diesen Anspruch für die Biennale Cuvée konsequent umgesetzt. Und so erstreckt sich die Schau nicht nur über das gesamte eigene Ausstellungshaus, sondern zeigt in drei Außenstellen Kunst im Linzer Bahnhofsviertel. So werden nicht nur die Gäste der "Kulturhauptstadt Europas", sondern auch tausende Besucher des Linzer "Wissensturms", der "Arbeiterkammer" und der "Energie AG" mit internationaler Gegenwartskunst konfrontiert. Dabei hätte die "Biennale Cuvée" - künstlerisch und politisch betrachtet - aktueller nicht ausfallen können. Als ob die beiden Kuratoren die ökonomische Krise bereits vorausgesehen hätten, ist die Schau eine radikale Bestandsaufnahme der globalen Misere: Viele der künstlerischen Arbeiten setzen sich mit den Auswirkungen der neoliberalen Globalisierung der letzten Jahrzehnte auf die lokalen Alltags-, Lebens- und Arbeitsbedingungen auseinander.

Das umfasst zum Beispiel die beeindruckenden Rauminstallation "Adress (Project: Another Country)" des philippinischen Künstlerpaares Alfredo Juan Aquilizan und Maria Isabel Gaudinez-Aquilizan, die ein mehrere Meter hohes, betretbares Zimmer aus jenen "Balikbayan-Kisten" errichtet haben, in denen sie, wie tausende andere philippinische Auswanderer auch, bei ihrer Reise nach Australien ihre persönlichen Habseligkeiten für den Transport in würfelförmige Kisten "gepresst" hatten; genauso wie das Opernvideo "Caregivers" von Libia Castro und Ólafur Ólafsson, das zwei Pflegerinnen aus der Ukraine und Rumänien sowie ihre betagten Arbeitgeber im italienischen Rovereto zeigt.

Träume von einer anderen Welt

So umfasst die künstlerische Auseinandersetzung mit der kapitalistischen Globalisierung die Realität des permanenten Krieges genauso wie die Realität der Privatisierung des öffentlichen Raumes, von illegalisierter Arbeit, Migration, Klimawandel und ökologischen Katastrophen, Reisefreiheit und Grenzregimen. Die Künstler erzählen aber auch von Aktivismus und Widerstand jener Menschen, die von einer anderen Welt träumen. "Wir wollen Vorstellungen und Möglichkeiten zeigen, die Welt zu verändern", sagt Manray Hsu, der als einer der Kuratoren der Biennale in Taipeh 2008 gemeinsam mit Martin Sturm die Linzer Schau zusammengestellt hat.

Wenn Menschen kollektiv handeln

Ins Zentrum der fünf Stockwerke hohen Glashalle der Linzer "Arbeiterkammer" hat die Münchner Künstlerin Petra Gerschner ihre Installation "History is a work in process" plaziert: Eine fast fünf Meter hohe Pyramide aus Gerüstrohren, auf der auf verschiedenen Ebenen hintereinander insgesamt 12 großformatige Leuchtkästen angeordnet sind (siehe Foto oben). Von welcher Seite man sich auch dieser Raumskulptur nähert, begegnet man handelnden Menschen: In ihrem Fotozyklus, der Bilder aus einer Zeitspanne von 20 Jahren umfasst, untersucht Petra Gerschner die Potenzialität der Erfahrungen und Möglichkeiten von Interventionen sozialer Bewegungen in gesellschaftliche Prozesse. Die Arbeit thematisiert die Entwicklung neuer Handlungsräume und die Erprobung emanzipatorischer Formen des kollektiven gesellschaftlichen Handelns am Beispiel der Proteste gegen die atomare Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf über Aktionen gegen Rassismus bis hin zu den Demonstrationen gegen die Münchner Nato-Sicherheitskonferenz und der Blockade des G-8-Gipfels in Heiligendamm 2007. Zugleich stellt sie Fragen nach der visuellen Repräsentation der so genannten "Bewegung der Bewegungen" im kollektiven globalen Bewusstsein. Mit seiner ironisch-kritischen Transparent-Installation an der Außenfassade der Arbeiterkammer übersetzt der Berliner Maler Andreas Siekmann abstrakte ökonomische Prozesse mit seinen Piktogrammen in einfache Bilder des Alltags: So kann man erleben, wie der öffentliche Raum durch den neoliberalen Privatisierungswahn zu einer käuflichen Größe geworden ist.

Von der Magie der Schwerkraft

Kunst, die mit der menschlichen Wahrnehmung spielt, und zugleich auf einem sehr hohen physikalischen Verständnis der Natur beruht, ist in der neuen Zentrale der Energie AG Oberösterreich präsentiert: Der "fliegende Stein" von Zhan Wang scheint die Gesetze der Schwerkraft zu überwinden und von magischen Zauberkräften beflügelt zu sein. Doch die 200 Kilogramm schwere Skulptur aus rostfreiem fluoreszierendem Stahl schwebt nach strengen Gesetzen der Physik mit Hilfe magnetischer Kräfte. Längst gilt Zhan Wang aus Peking mit seiner Serie künstlicher Steine als einer der wichtigsten Bildhauer Chinas.

Zwischen Meditation, Reflexion und Manipulation

Einen Raum der Kontemplation, der die Besucher mit seiner sinnlichen Erfahrung zum Verweilen in Betrachtung und Meditiation festhält, hat Zadok Ben-David geschaffen: Auf einem Sandbeet hat der Künstler insgesamt dreitausend Pflanzensilhouetten aus säuregeätzten Metallplättchen zu einem einzigartigen Ensemble vereint, in dem Pflanzen aus unterschiedlichen klimatischen Bedingungen und Zonen der Welt koexistieren. Jede dieser faszinierenden Miniaturen ist auf der einen Seite schwarz und auf der anderen Seite von Hand farbig bemalt. Geht man an der Installation entlang, kann man von der dunklen Seite hineinwandern in einen üppigen Garten Eden - beide Seiten entwickeln ein spannungsreiches sinnliches Erlebnis zwischen Reflexion, Wunder und Manipulation. Die Arbeit "Blackfield" verdichtet sich zu einem Ort des Traums und der Hoffnung, dem sich der Betrachter nicht entziehen kann und will. Als Besucher wird man ihn letztlich nur schweren - und zugleich fröhlicheren - Herzens wieder verlassen.

Der Traum vom eigenen Hubschrauber

Um einen Traum, der eines Tages auch Realität werden soll, geht es in der großartigen Arbeit "The Farmers and the Helicopters": Das Video erzählt von der Vision von Le Van Danh und Tran Quoc Hai - und sie erzählt vom Schrecken des Krieges. Die beiden vietnamesischen Bauern und autodidaktischen Mechaniker stammen aus der Provinz Tay Nin, in der ein Bataillon der US-Luftwaffe und ihre Kampfhubschrauber während des Vientnamkrieges in den 1970er Jahren stationiert waren. Bis heute ist das Geräusch der rotierenden Kriegsmaschinen für die meisten Vietnamesen mit Vernichtung, Angst und Schrecken verbunden. Le und Tran waren trotzdem bereits in ihrer Kindheit von Hubschraubern fasziniert. Für sie verkörperten diese fliegenden Maschinen eine tragische Ambivalenz: Sie hatten Macht über Leben und Tod, als Kriegsgerät vernichteten sie tausendfach Leben, und doch hatten sie auch das Potenzial, Verletzte zu retten. 2003 begannen sie damit, selbst Hubschrauber zu konstruieren. Die Realisierung ihres Traums, der bisher an den geringen finanziellen Möglichkeiten scheiterte, ist zugleich ein Manifest: Es formuliert den Anspruch auf eine eigene Version der Geschichte und das Recht aller Menschen auf Teilhabe an den Ressourcen des technischen Fortschritts - nicht um Leben zu vernichten, sondern um die Bedingungen für die Menschen zu verbessern.

Biennale Cuvée Linz: Arbeiterkammer und Energie AG: bis 15. Mai 2009 OK: bis 26. April Infos unter: www.ok-centrum.at

Michael Backmund

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