Betrug kann so schön sein
Filmfest: Schriftsteller Frédéric Beigbeder über die Verfilmung seines Skandalbuchs „39,90“
Zum Savoir vivre gehört die Todessehnsucht dazu, ein Romancier wie Frédéric Beigbeder ist sich dessen totalement bewusst. So ist er nicht nur für das Interview, sondern auch das morbide Bonmot bereit, als er in einen nobel möblierten Salon im Bayerischen Hof tritt: „Dieses Zimmer macht mir Lust, mich selbst umzubringen.“
Und schon ist man bei „39, 90“, Beigbeders Skandalbuch, das von dem ehemaligen Werbeclip-Regisseur Jan Kounen verfilmt wurde und nun auf dem Filmfest München gezeigt wird. Die Vorlage ist ein Schlüsselroman über einen arroganten Werbetexter in einer großen Agentur, der die Nase nicht nur vom Kokain voll hat.
In mehreren Harakiri-Aktionen versucht Octave, seinen Rausschmiss herbeizuzwingen – wobei sein größtes Kampfmittel das Schreiben ist: Octave verfasst eben den Roman, den der Leser liest. Doch zuletzt fliegt er nicht, sondern wird befördert.
Hier spaltet sich die Fiktion von der Wirklichkeit: Auch Beigbeder war einer dieser kreativen Überflieger – und wurde wegen „39,90“ entlassen: „Es war bizarr“, erinnert er sich, „der Roman war nicht veröffentlicht, aber die Presse berichtete darüber einen Monat zuvor. Mein Boss meinte: Ich habe in einem Magazin gelesen, dass Sie das veröffentlichen. Sie sind gefeuert.“
Octave muss für die Joghurtfirma Madone einen Spot schreiben und entdeckt die geistigen Untiefen der Konsumgesellschaft: „Die witzigsten Dialoge habe ich in Meetings gehört. Der damalige Chef von Danone, für die meine Agentur gearbeitet hat, sollte eigentlich mehr für diesen Film verdienen als ich. Er hatte Ideen wie: Wieso benutzt man Humor in der Werbung? Oder meinte: Die Leute sollen den Joghurt, nicht den Spot essen.“ Gegen den Stumpfsinn wehrt sich Octave mit allen Mitteln.
Wobei sich die Frage stellt: Wie fühlt es sich an, Herr Beigbeder, wenn Sie jetzt Werbung für den Film machen? „Das hat man mich auch zum Roman gefragt. Und ja: Ich bin Octave, und Octave sieht im Film wie ich aus – wir sind Gefangene in einer Konsumgesellschaft. Ein Weg, diesem Gefängnis zu entfliehen, ist, darüber zu schreiben. Wenn man das Werk publiziert, muss man es auch verkaufen – und ist wieder gefangen.“
Dem ersten Kapitel seines Romans stellte Beigbeder ein Fassbinder-Zitat voran: „Man muss zumindest versuchen zu beschreiben, was man nicht verändern kann.“ Tatsächlich habe sein Roman nichts bewirkt, meint der 42-Jährige, es sei vielmehr schlimmer geworden: „Die Branche ist noch schmerzvoller, frustrierender und dümmer als damals.“
Der Film, an dessem Drehbuch Beigbeder in beratender Funktion beteiligt war, wirkt zeitgemäß – obwohl er sieben Jahre nach Veröffentlichung des Romans entstand: „Als wir bei TV-Sendern wegen der Finanzierung anfragten, meinten die: Seid ihr verrückt?! Wir werden keinen Penny für einen Film geben, der die Branche kritisiert. Werbung hält uns am Leben! ARTE und Canal Plus akzeptierten jedoch – weil sie nicht von der Werbung abhängen.“
Mit dem Ergebnis ist Beigbeder zufrieden: „Der Film ist reich an Ideen, schnell und kreativ, weil er eben auch von Werbung handelt. Das Gleiche wie der Roman ist es natürlich nicht. Aber ich bin froh, auf diese schöne Weise betrogen worden zu sein.“ Zu Beginn des Films sieht man Octave, gespielt von dem französischen Starkomiker Jean Dujardin, auf dem Dach eines Hochhauses, wie er in die Tiefe blickt. Beigbeder hat den Sprung gewagt. Angesichts seines Erfolgs, der Zufriedenheit, die er im todnoblen Zimmer im Bayerischen Hof ausstrahlt, erscheint es fast, dass er weich gelandet ist. Michael Stadler
Samstag, 20 Uhr, MaxX 3
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