Bester Volldepp of Rock

Scheitern, Verzehren – und mächtig Gas geben: Ein großartiger Neil Young startet seine Europa-Tour in Spanien
von  Abendzeitung

Scheitern, Verzehren – und mächtig Gas geben: Ein großartiger Neil Young startet seine Europa-Tour in Spanien

Das Leben ist ein Volldepp, aber nicht unsympathisch. Mancher, der in den 60ern und 70ern am Lagerfeuer von Love und Peace klampfte, dann mit großem Hubraum über den Highway röhrte und ans Altwerden erstmal keinen Gedanken verschwendete, nähert sich nun ausgebrannt der Pensionsberechtigungsgrenze und wundert sich. Auch schon 63, wer hätte das gedacht?

Am Samstag in Barcelona steht bei Einbruch der Dämmerung, leicht verspätet und doch unvermittelt, ein frisch gefönter Love-and-Peace-Singer und Highway-Röhrer (63) vor einem durchweg jugendlichen, gut 30000 Köpfe zählenden Publikum auf dem „Primavera“-Festivalgelände am Stadt-Strand. Es ist der Auftakt von Neil Youngs Europa-Tour, nachdem er vor kurzem mit „Fork In The Road“ der Welt ein skizzenhaftes, derbes Rock’n’Roll-Album hingerotzt hat, das sich thematisch um den Umbau seiner uralten Highway-Limousine in ein Öko-Mobil dreht.

Ein Lebenslauf mit Schwerpunkten bei frühen Phasen

Die Kids in Spanien kennen ihn gut, den Mann mit den wehenden grauen Strähnen und (bei unvorteilhafter Großbild-Aufnahme) Miss-Marple-Optik, der sich schon 1972, mit 26, an den „Old Man“ gewandt hatte, um Aufmerksamkeit flehend: „Take a look at my life...“. Das Stück wird Young an diesem Abend dann kurz vor den Zugaben spielen.

Doch jetzt muss er erstmal beginnen, dieser komprimierte Lebenslauf in knapp zwei Stunden heftig rockenden, rumpelnden, lärmenden, durchschüttelnden Episoden, wobei die Schwerpunkte auf den frühen und mittleren Phasen liegen werden. „Psychedelic music fills the air...“, trällert der herzensgute Volldepp in „Mansion On The Hill“ zum Auftakt, bereit zum Scheitern, um dann gleich jugendprotestlerisch den Hahn aufzudrehen: „Hey Hey My My“. Besser verbrennen als verschwinden, heißt es da. Young hat es immer wieder so gemacht in seinem Leben, bei vollem Volldepp-Risiko. Jetzt kann er das Stück als Lebensbilanz spielen, nicht mehr nur als Absichtserklärung. Die Teenies im Publikum dürfen staunen und spüren, wie es ist, wenn einer sagen kann: Ich hab’s wirklich getan.

Young ist diesmal nicht mit seinen langjährigen Gefährten von „Crazy Horse“ unterwegs, sondern mit der „Electric Band“, eine zwar tadellos rockende, ihm aber geradezu hündisch ergebene Begleitgruppe. So steht der Meister zentraler den je auf der Bühne, springt und hüpft und leidet bei jedem seiner beißenden Saitensoli, wechselt verschwitzte Holzfällerhemden und bis zum sechsten Stück („Spirit Road“) gleich vier Mal die Les-Paul-Gitarre (von der Schwarzen über die Sunburst zur Custom und zurück) und erinnert überhaupt sehr grundsätzlich an seine besonders laute Post-Grunge-Phase mit „Weld“ Anfang der 90er.

Gerade werden alle zu Gefühlsbatzen – da kommt der Öko-Song

Bis nach „Pocahontas“, „Cortez the Killer“ und „Cinnamon Girl“, die den frühen Mittelteil der Show bilden, hat Young schon so viel Energie über die katalanischen Strandhügel geblasen, dass ein paar Tankstopps mit Piano und/oder Akustikklampfe unvermeidlich sind: „Mother Earth“, „The Needle And The Damage Done“, „Unknown Legend“.

Und dann, wenn man gerade glaubt, ins reifere Spätwerk hinübergleiten zu können, erhebt sich – wie gemein! – die Sehnsuchtsklage aller sentimentalen Volldeppen: „Keep me searching for a heart of gold...“ Wer da nicht mindestens seufzt, wo doch auch noch der Halbmond genau über der Bühne im Nachthimmel steht, hat kein Herz oder hört DJ Bobo.

Während sich also gerade 30000 junge Spanier in Gefühlsbatzen verwandeln, legt der old man „Get Behind The Wheel“ auf und erinnert daran, dass er ja eigentlich mit einer aktuellen Öko-Botschaft gekommen war – es bleibt an diesem Abend der einzige Song aus dem neuen Album. So bleibt Zeit für „Rockin’ In The Free World“, sehr klassischer Südstaaten-Rumpel-Rock’n’Roll, bei dem die Sozialkritik in die Fahne gewickelt daherkommt – Bruce Spring-steen würde man sowas nicht mehr durchgehen lassen.

So inszeniert sich Neil Young ein weiteres Mal als fahrender Sänger auf der Straße des Lebens, uneitel, störrisch, sympathisch, uns mal zum Lagerfeuer mitnehmend und mal zum Verzehren und Verbrennen. Dass er mit dem Schal des FC Barcelona um den Hals die Bühne verlässt – geschenkt. Ihm verzeiht man auch die rätselhafte, einzige Zugabe: „A Day In A Life“ von den Beatles. Seltsam, seltsam: „Woke up, got out of bed / Dragged a comb across my head...“. Da war’s die Stunde vor Mitternacht und die spanische Nacht fing doch gerade erst mal an.

Michael Grill

Olympiahalle, 17.6., 20.30 Uhr. Ticket Tel. 089/ 54818181

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.