Besetzt! Erst einmal
Zum Abschluss des „Rodeo“-Festivals der freien Münchner Szene fordern die Kreativen ihr eigenes Zentrum auf dem Schwere-Reiter-Gelände und nehmen es symbolisch in Beschlag
"Das Kulturreferat ist der natürliche Feind des Künstlers“: So polemisierte einst ein Münchner Kabarettveranstalter. Das ist lange her. Die freie Theaterszene weiß sehr genau, dass sie in Kulturreferent Hans-Georg Küppers und seinen Mitarbeitern aufgeschlossene Ansprechpartner und Förderer hat. Mit stiller Diplomatie hat Küppers viel vorher Undenkbares ermöglicht: unter anderem eine Erhöhung der Subventionen, den Spielort Schwere Reiter und jetzt erstmals das Festival „Rodeo“. Als Showcase der freien Münchner Tanz- und Theaterkünstler soll es künftig alle zwei Jahre vor allem auch überregionale Aufmerksamkeit wecken. Fünf Tage lang präsentierten sich auf dem Schwere-Reiter-Gelände an der Dachauer Straße, in der Muffathalle und im i-camp je sechs Tanz- und Theaterproduktionen, dazu gab’s die Tanz-Reihe „Solos Rodear“, Performances und Symposien. Die Organisatoren zeigten sich mit dem Publikums-Zuspruch sehr zufrieden.
Doch die Künstler beendeten das Festival am Sonntag mit einem angekündigten Paukenschlag: der symbolischen Besetzung des Schwere-Reiter-Geländes. Ihre Forderung: Die 2013 zum Abriss bestimmte Industriebrache, die das Pathos Transport Theater und das Schwere Reiter beherbergt und schon den Kammerspielen als Ausweichquartier diente, soll zum Kreativquartier der Szene werden. Vor allem die erstmals provisorisch zur Kulturnutzung freigegebene Halle 3 hat Begehrlichkeiten geweckt: Der riesige Raum, in dem nach dem Abriss Bauschutt gelagert werden soll, wäre ein wunderbar variabler Spielort. Eine dauerhafte Nutzungsänderung jedoch brächte unfinanzierbare Sicherheitsauflagen mit sich – da führt kein Weg hin.
Angelika Fink, die Leiterin des Pathos Transport Theaters und Initiatorin der Besetzung, fand starke Worte: „Das Kreativquartier ist eröffnet. Wir machen weiter. Und zwar sofort.“ Ihre Aktion war allerdings denkbar ungeschickt und kontraproduktiv inszeniert: Zwei Mal sprengte sie rüde die finale Diskussionsrunde, in der Künstler genau das formulierten, was sie sich von so einem Zentrum erwarten: Vernetzung, Austausch, Kommunikation und Kooperation untereinander. Das braucht die Münchner Szene wirklich. Wie Angelika Fink und Konsorten dagegen auf dem bis 20. Juni besetzten Gelände der Öffentlichkeit bewusst machen wollen, wofür sie diesen Ort brauchen, konnten sie nicht erklären: Aufführungen sind nicht möglich, weil die Technik abgebaut wird. Es wird wohl bei Musik, Party und Fußball-Gucken bleiben – und Lärmbeschwerden aus der Nachbarschaft.
Der anwesende Kulturreferent lächelte leise und schwieg. Er lässt sich politische Schleichwege nicht durch öffentliche verbale Kraftmeierei verbauen.
Gabriella Lorenz
Infos zur Besetzung unter www.kunst-statt-schutt.de
Jörg Witte, Ex-Leiter des Pathos Transport Theaters, über die Leiden der Szene
Einer, der die Münchner Szene in den letzten Jahren aufgemischt hat wie kein anderer, ist Jörg Witte. Der 45-jährige Berliner kam vor zehn Jahren nach München, übernahm das Pathos Transport Theater und machte durch Vernetzung und überregionale Kooperation aus dem Kellerloch an der Dachauer Straße eine erste Avantgarde-Adresse. Acht Jahre hat er das Theater geleitet, zuletzt mit seiner Frau Angelika Fink, die es nun alleine weiterführt. Der Vorreiter Witte zieht sich raus aus dem Betrieb, will erstmal wieder nur „wahnsinnig gerne“ Schauspieler sein, hat aber Ideen für eigene Projekte und seine eigene Sicht auf die Münchner Szene.
Erstmal müsse er sein Frustrationspotenzial abbauen, bekennt Jörg Witte offen. „Ich habe das Gefühl, dass in dieser Stadt alle Möglichkeiten ausgereizt sind.“ Er zuckt resignierend die Achseln: „Wir können uns nach acht Jahren immer noch keinen festangestellten Techniker leisten.“
Dass das Münchner Kulturreferat nun erstmals für die freie Theater- und Tanzszene ein eigenes Festival auf die Beine gestellt hat, dazu haben Wittes subversive Aktivitäten beigetragen. Doch der Theatermacher sieht das auch kritisch: Er findet „Rodeo“ im Anspruch auf überregionale Wirkung als Plattform zu klein. Dass die Kuratoren selbst aus der Szene stammen, ist für ihn ein Schwachpunkt: „Warum nicht Leute, die mit Vernetzung erfahren sind – Kuratoren von Kampnagel oder vom FFT Düsseldorf? ,Rodeo’ findet in guter Absicht statt: Ich glaube aber nicht, dass es eine große Außenwirkung haben wird. So ein kleines Festival kann nicht leisten, was zum Beispiel Sigrid Gareis mit dem Wiener Tanzquartier geschafft hat: Da gibt es Künstlerbetreuung, technische Struktur und dauerhaften Support.“
Seine München-Bilanz: „Zu wenig mediale Präsenz, zu wenig Geld für Vermittlung und Vernetzung. Aber zu viele Berentungen wie langjährige Optionsförderungen. Und München hat es bisher nicht geschafft, einen Ort zu etablieren, der die freie Szene nach außen kommuniziert.“ Aber ein zentraler Ort allein genügt nicht, da müssen auch Ideen her. Witte charakterisiert die Münchner Szene so: „Es gibt keine Schärfe und keine Traute zur Polarisierung.“
Gabriella Lorenz
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