Berührend und tragisch

Esa-Pekka Salonen über Ligetis „Requiem“, das er heute und morgen im Gasteig dirigiert
von  Abendzeitung

Esa-Pekka Salonen über Ligetis „Requiem“, das er heute und morgen im Gasteig dirigiert

Ein jüdischer Atheist komponierte zwischen 1963 und 1965 ein lateinisches „Requiem“ in der Tradition von Verdi und Berlioz. Esa-Pekka Salonen hat diese moderne Totenmesse mit den Klangkörpern des Bayerischen Rundfunks einstudiert. Er verbindet sie mit Beethoven und dem ersten Violinkonzert von Schostakowitsch. Er wurde geboren 1958 in Helsinki, studierte Horn, Dirigieren und Komposition. Seit 2008 leitet er das Philharmonia Orchestra London.

AZ: Herr Salonen, was hält die drei Werke zusammen?

ESA-PEKKA SALONEN: Ein innerer Zusammenhang: das Thema Freiheit. Schon der „Leonore II“ geht es um Ungerechtigkeit und Befreiung. Schostakowitschs Leben war ein Balanceakt zwischen der stalinistischen Kulturpolitik und seiner inneren Stimme. Ligeti verließ seine Heimat nach dem Aufstand 1956. Als ungarisch sprechender Jude aus in einer rumänisch sprechenden Stadt in Transsylvanien gehörte er gleich mehreren Minderheiten an.

Wie schwer ist der Zugang zu diesem Stück?

Gar nicht. Ein Ausschnitt ist sehr bekannt, weil Kubrick ihn im Film „2001: Odyssee im Weltraum“ verwendet hat. Vieles bezieht sich auf die Musiktradition. Das Lacrimosa ist herzzerreißend.

Wie könnte man das Stück beschreiben?

Es geht um die Reinigung durch eine Krise, die im 3. Satz spürbar wird. Ich stelle mir im letzten Satz ein altes Paar vor, das nach einem Krieg durch Ruinen geht, an früher denkt, aber auch begreift: ein Neuanfang ist möglich.

Also keine Angst vor Ligeti?

Nach vielen Jahren Erfahrung würde ich sagen: Wenn man Ligetis Musik hört, versteht man sie auf jeden Fall. Er spricht von Gefühlen, die wir alle kennen: Furcht, Angst und Verzweiflung.

Was sollte man wissen, um Ligeti zu verstehen?

Wenn ich ein gutes Essen beschreibe, dann zähle ich doch nicht die Moleküle auf, aus denen es besteht. Ich sage: Ich hab’ ein Steak gegessen. Um Ligeti zu verstehen, muss man nichts über Mikropolyphonie wissen. Ich erkläre Musik gern über ein Bild, eine Emotion. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man das „Requiem“ hört. ohne berührt und bewegt zu sein.

Birgit Gotzes

Gasteig, heute und morgen, 20 Uhr, Restkarten

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