Berlin als London-Kulisse

In Abwesenheit von Regisseur Roman Polanski ist dessen Film „Der Ghostwriter“ ein erster Höhepunkt auf der Berlinale
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In Abwesenheit von Regisseur Roman Polanski ist dessen Film „Der Ghostwriter“ ein erster Höhepunkt auf der Berlinale

Es ist noch nicht vorbei", sagte der Spaßvogel zwei Reihen vor mir auf dem wegen des Schneechaos um acht Stunden verspäteten Fluges München – Berlin beim Kreisen über den gesperrten Landebahnen von Tegel. Recht hatte er, alle haben gelacht. Einige haben die Eröffnungsgala der 60. Berlinale versäumt mit dem chinesischen Wettbewerbsbeitrag „Tuan Yuan“, einem „schönen, kleinen Film“, wie Festivalchef Dieter Kosslick beteuerte.

Es ist die Geschichte einer Lebensliebe aus dem geteilten China. Autor-Regisseur Wang Quan’an hatte 2007 mit „Tuyas Hochzeit“ den Goldenen Bären gewonnen, einem schönen, kleinen Gesellschaftsdrama aus der Mongolei.

Roman Polanskis neuer Film

Am Freitag war die Festivalstimmung dann wieder in Ordnung. Dank Roman Polanski und seinem Wettbewerbsbeitrag „Der Ghostwriter“, einer französisch-britisch-deutschen Koproduktion nach dem Roman „Ghost“ des britischen Bestsellerautors Robert Harris. Natürlich konnte Polanski mit Fußfessel nicht zur Berlinale kommen (siehe Kulturfrage). In Berlin lässt er Freund Harris, mit dem er auch das Drehbuch schrieb, und Hauptdarsteller wie Ex-James-Bond Pierce Brosnan und Ewan McGregor für ihn sprechen. Die Welt ist eng geworden für Roman Polanski, den 1933 in Paris geborenen und in Krakau aufgewachsenen Meisterregisseur („Rosemarys Baby“, Oscar 2003 für „Der Pianist“).

Mit seinem „Ghostwriter“ demonstriert er nun ungebrochene Schöpferverve. Der düster-bezwingende Politthriller von Hitchcock-Suspense, Chandler-Atmosphäre und aktueller Brisanz spielt in London und Amerika, die wichtigen Szenen auf der US-Ostküsteninsel Martha’s Vineyard sind unter anderem auf Sylt gedreht, für London hielt Berlin-Mitte hin, das Studio Babelsberg half mit.

Ein namenloser Ghostwriter (wunderbar als introvertierter Schattenschreiber mit Witz und Mut: Ewan McGregor) wird von einem Verleger-Tycoon engagiert, die drögen Memoiren des britischen Ex-Premiers Adam Lang (unübersehbar ein Tony-Blair-Ver schnitt und von Brosnan als abgründig-charmantes Schlitzohr im Psychostress gestemmt) fertig zu schreiben. Des Ghostwriters Vorgänger ist unter mysteriösen Umständen auf der US-Insel ums Leben gekommen. Die Zeit drängt, der Politiker steht unter öffentlichem Beschuss. Er hat die Briten in den Irak-Krieg gedrängt, Landsleute im Anti-Terror-Kampf verschleppen lassen. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag ermittelt gegen ihn wegen Kriegsverbrechen.

Über die Korrumpierbarkeit des Menschen

Lang hat sich zu seinen amerikanischen Freunden von der CIA zurückgezogen, in ein bunkerartiges, streng bewachtes Feriendomizil auf der nebelumwaberten Ostküsteninsel. Dort muss der Ghostwriter jetzt hin, und gleich nach der Ankunft in Amerika wird er in einen Strudel unheimlicher Geschehnisse und sinistrer Geheimnisse gerissen. Offenbar belügt der smarte Lang ihn, ebenso wie dessen übereifrige Assistentin (Kim Cattrall) und die undurchschaubare, eifersüchtige Ehefrau (Olivia Williamson). Vor Langs Villa positionieren sich Presseleute, demonstrieren wütende Menschen. Als der Autor auf Hinweise seines toten Kollegen stößt, beginnt er detektivisch nachzuforschen – und befindet sich bald in einem Labyrinth gefährlicher Machenschaften. Nun ist auch sein Leben in höchster Gefahr.

Mit seinem „Ghostwriter" liefert Polanski eine beklemmend aktuelle Studie von der Korrumpierbarkeit des Menschen durch Macht, von Einsamkeit, Besessenheit und der Ohnmacht des Moralisten. Ein cinéastischer Kraftakt mit überraschenden Auflösungen und einem nachtschwarzen Ende. Das wäre ein Eröffnungsknaller gewesen. Aber der vorsichtige Festivalchef Kosslick wollte nicht missverstanden werden – mit einem „Statement zu etwas, in das wir uns nicht einmischen wollen“. Im Kino sollte man den Film ab dem 18. Februar nicht verpassen.

Angie Dullinger

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