Fackelzug durch Sendling: Münchner erinnern an blutigen Aufstand

Bei der Anfahrt über den Mittleren Ring eine leichte Irritation: Wo muss man den Brudermühltunnel verlassen, um zum Harras zu kommen? Der historisch Informierte liest "Plinganserstraße" und ist sich sicher: Diese Ausfahrt ist die richtige, weil sie nach einem Mitglied des ersten bayerischen Parlaments in Braunau und Anführer des Aufstands benannt ist.
Viele Bauern und Bürger wollten angesichts der Exzesse der österreichischen Besetzung lieber "bayerisch sterben" als "kaiserlich verderben", wie es damals hieß. Doch der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen, unter anderem in der Sendlinger Mordweihnacht von 1705 bei der alten Kirche St. Margaret.
Auf deren Friedhof waren nach der fehlgeschlagenen Eroberung Münchens durch Bauern aus dem Oberland letzte Überlebende geflüchtet - in der Hoffnung, die kaiserlichen Truppen würden den Ort am Heiligen Abend als Asyl achten. Doch sie wurden brutal niedergemetzelt, übrigens nicht, wie bis heute oft geglaubt wird, von Österreichern, sondern von Reichstruppen aus dem Württembergischen.

Leben unter der Besatzung
Seit genau 100 Jahren erinnert ein Verein mit einem Fackelzug am Heiligen Abend kurz vor Mitternacht an diese Episode aus dem Spanischen Erbfolgekrieg, die bereits Zeitgenossen als Kriegsverbrechen verstanden. Damals kämpften die Häuser Habsburg (Österreich) und Bourbon (Frankreich) mit ihren Verbündeten um den spanischen Thron und die Vormacht in Europa. Auch das von Max Emanuel regierte Bayern machte sich Hoffnungen auf das spanische Erbe. Der mit Frankreich verbündete Kurfürst erlitt 1704 in der Schlacht von Höchstätt eine schwere Niederlage und flüchtete ins Exil, aus dem er erst zehn Jahre später nach einem ausgleichenden Friedensschluss zurückkehren sollte.

Im besetzten Bayern wurden die Steuern drastisch erhöht, Truppen einquartiert und die Landbevölkerung in die kaiserliche Armee gezwungen. Das löste 1705 einen schnell blutig niedergeschlagenen Aufstand aus, an dessen Beginn sich der "Braunauer Landesdefensionskongress" gebildet hatte: Diese wenig bekannte Versammlung mit Rederecht für Bürger, Bauern und Adelige kann als erstes bayerisches Parlament gelten. Und das erlaubt auch überzeugten Demokraten die reuelose Teilnahme an einer Traditionsveranstaltung, die an den Volksaufstand von 1705 erinnert und weniger monarchistisch geprägt ist als andere Teile der historischen Erinnerungskultur Bayerns.
Freiheit ist keine Selbstverständlichkeit
Der von einem Trommler und einem Fahnenträger angeführte Zug marschiert durch die ebenfalls nach Teilnehmern den Aufstands benannten Straßen einmal um den Block und endet auf dem Friedhof der Kirche. Dort erinnert ein Denkmal aus dem 19. Jahrhundert an den Aufstand. Zwei Fackelträger stehen währenddessen auf der anderen Straßenseite am Denkmal für den "Schmied von Kochel", der als letzter Aufständischer gefallen sein soll. Aber diese erst im 19. Jahrhundert erfundene Figur ist von Historikern mittlerweile als Legende enttarnt.

Auf dem Friedhof erinnerte der Stadtrat Alexander Reissl (CSU) daran, dass Freiheit und nationale Selbstbestimmung gegen Großmächte erkämpft und verteidigt werden müssen. Er erwähnte den Zerfall Jugoslawiens und den seit 2013 andauernden Krieg in der Ukraine. Reissl spielte zwar nicht direkt darauf an, aber der Aufstand von 1705 enthält auch eine aktuelle Botschaft: Viele Bayern wollten nicht unter einer Besatzung leben, wie es manche Pazifisten heute vom Lehnsessel aus der Bevölkerung im Donbas oder auch dem Rest der Ukraine empfehlen.

Vor der Andacht in der Kirche wurde auf dem Friedhof nach einem Vaterunser noch die Bayernhymne gesungen, wobei sich viele Anwesende als erstaunlich textsicher erwiesen. Neben den etwa 30 Teilnehmern in historischen Kostümen nahmen in der kalten Winternacht rund 200 Sendlingerinnen und Sendlinger an dem außerhalb dieses Stadtteils wenig bekannten Umzug teil. Für sie gehört das Gedenken an 1705 zur Weihnachtstradition. Und daher kann man sicher sein, dass sie nicht so schnell erlöschen wird.