Begehrt wie Barack
Irene Dische schickt ihre liebestolle Heldin in den US-Wahlkampftrubel
Clarissa hat sich eine Reise in ihre Heimatstadt verordnet. „New York kann einen hungrigen Löwen derart ablenken, dass er die Beute zwischen seinen Zähnen vergisst“, sagt sie – und setzt sich in ein Flugzeug, um ihren Liebeskummer zu kurieren.
Vor 20 Jahren verfrachteten Clarissas Eltern den liebestollen Teenager nach Stuttgart, erklärt sie dem Sitznachbarn, seitdem lebt sie in Deutschland. Hier wartet auch ihr geduldiger Ehemann, mit dessen Kreditkarte sie sich zum ersten Mal zurück in die Heimat begibt. Erster Stopp ihrer Reise: Das sonnige Miami. Wegen eines gebrochenen Herzens muss man nicht gleich blass aussehen.
Mit reichlich Selbstbewusstsein ist Clarissa gesegnet, daran ändert auch das an einer Affäre zerbrochene Herz nichts. Jeder männliche Blick, der auf sie fällt, wird als unverhohlenes Interesse interpretiert – und an Barack Obama bemerkt sie als erstes seine attraktive Stimme.
Unbedarft gerät sie mitten in die heiße Wahlkampfphase. Es ist Frühling 2008, der künftige Präsident verfolgt die unpolitische Protagonistin auf Schritt und Tritt. Clarissa taucht auf ihrer Odyssee durch die schillernde Oberfläche des Landes und gerät in eine Reihe von absurden Situationen mit den verschrobensten Typen – von militanten Christen im Trailerpark bis hin zum versoffenen Schriftsteller an der Bar. Von vielen erfährt die selbstbezogene Mittdreißigerin mehr als ihr lieb ist. Dafür kann auch Clarissa mit ihrer bösen Betrachtungsweise und oberflächlichen Ansichten nicht an sich halten.
Mit Clarissa hat Irene Dische eine kurzweilige Figur erschaffen, die eine erfrischende Sicht auf das Heimatland der in Berlin lebenden Autorin wirft – ein wunderbar satirischer Blick auf Amerika im Wahlkampffrühling, voll bösem Humor und klugem Witz, nicht ohne Herz und rührende Momente.
Laura Kaufmann
Irene Dische: „Clarissas empfindsame Reise“ (Hoffmann und Campe, 19.95 Euro)