Bayerische Urgewalt
LaBrassBanda haben in ihrer kurzen und steilen Bandkarriere vom Chiemgau aus die großen Rockfestivals und Londoner Clubs gestürmt. Im Oktober erscheint ihr zweites Album
Die Wiese, der Elektrozaun, die Kühe, der Güllewagen – Übersee am Chiemsee erfüllt alle Erwartungen. Fast. Dreht man sich um, blickt man auf das Industriegebiet. Das besteht zwar nur aus einem zweistöckigen Neubau, aber immerhin. Und die rauschende Klangkulisse ist auch nicht der See, sondern die Autobahn. Vor der Eingangstür zum Industriekomplexchen steht ein rotes Feuerwehrauto, das tapfer den Rost ignoriert. Im ersten Stock gibt es eine Wohnung mit einem verglasten Aufnahmestudio auf der Galerie unter der Dachschräge.
Hier leben und arbeiten LaBrassBanda, der momentan wichtigste und erfolgreichste Pop-Export aus dem Chiemgau. Wir sitzen um den Couchtisch. Es gibt Brezn und Butter und Kaffee, in einer Mühle gemahlen, wie sie auch noch im Schrank der Oma vom Kasperl stehen dürfte. Stefan Dettl legt den Live-Mitschnitt des LaBrassBanda-Auftritts auf dem Roskilde-Festival ein: „Nach den ersten paar Songs war die Halle voll“, erzählt er. „I like to move it“, brasst es aus den Anlagenboxen, das dänische Publikum ist eine tobende Begeisterungswelle.
Im Vorjahr bekam die Band den AZ-Stern des Jahres. Da gab es sie gerade mal ein Jahr lang. Getrieben von einer unermüdlichen Spielaktivität ist über die Monate der Aufstieg einer Gruppe an der Schnittstelle zwischen Blasmusik und Pop zu beobachten. Stefan erzählt strahlend von der letzten Riesenparty in Rudolstadt. In Hamburg im Golden Pudel Club weigerte sich der DJ aufzulegen, nachdem er LaBrassBanda spielen gehört hatte. Die Jungs sind flexibel, und zur Not funktioniert ihr Sound bei einem Spontanauftritt auch ohne große Anlage.
Im Moment arbeiten sie an ihrem zweiten Album. Es soll „Übersee“ heißen und am 23. Oktober erscheinen. Heute lassen sich Eva Mair-Holmes vom Münchner Label Trikont, und Michael Heilrath, der für die Endabmischung zuständig sein wird, die bisherigen Ergebnisse vorführen. Und besprechen die kommenden Schritte: Was ließe sich als Single auskoppeln? Welche Sender könnten auf was anspringen? Wann wird geliefert? Und vor allem: Wie sieht das Cover aus?
Willy Löster heißt der Mann am Mischpult, der mit der Band arbeitet, sie digital aufnimmt, bis die Spuren zum Mastering geschickt werden. „Am wichtigsten ist es, den künstlerischen Prozess nicht zu behindern“, findet er. Und wenn das Studio in die Wohnung integriert ist, kann auch ein tropfnasser Manuel aus der Dusche springen, um eine neue Idee auszuprobieren.
Instrumente liegen in diesem Studio herum wie der Krimskrams in einem Kinderzimmer. Was wir an diesem Nachmittag hören, zeigt deutlich die Entwicklung seit dem ersten Album „Habedieehre“. Der Balkan-Brass-Sound ist einem eher funky Zugriff gewichen. „Bierzeltkeilerei“ – während der Stefan genussvoll die Eskalationsstufen einer zünftigen Klopperei beschreibt, schafft der Beat den coolen Gegenpol als New-York-Disco der 70er Jahre.
Zwei Klischees heben sich ganz reizend gegensätzlich auf. Mit „Host as ned“ ist Eva noch nicht so recht zufrieden. Da kommt ihr noch zu sehr der alte Balkan-Sound durch. „Versuchen wir’s halt spanisch“, meint Stefan und steht schon hinter dem Mikrofon. In einer Minute hat er eine Trompeten-Spur skizziert, die den Song in eine neue Richtung führt.
Am Abend sitzen wir wieder in München, im Innenhof ihrer Plattenfirma Trikont in Giesing. Der immer umtriebige Stefan ist schon wieder am Schaffen und kritzelt auf einem Schmierblatt an einem neuen Text. Was reimt sich auf „mahn“ – hochdeutsch „mähen“. Worte mit offenen Vokalen sind am Versausklang dringend gesucht und schwer zu kriegen.
Einige Wochen später im Studio. Der Laden brummt. Während draußen am Motor des Feuerwehrwagens geschraubt wird, repariert Bassist Manuel seine Lederhose, die anderen packen, schleppen. So fühlt sich das kontrollierte Chaos an, bevor man um die Mittagszeit zum Auftritt aufbricht. Die Songs, die Stefan diesmal vorspielt, sind gewachsen. Das Angedachte hat Kontur bekommen, die Rhythmussektion schaufelt den Beat auf die Spur, die Bläser funken, als trügen sie paillettenbesetzte Lederhosen. Es gibt Covervorschläge. Über die endgültige Songauswahl darf noch diskutiert werden. Aber nicht jetzt, bitte. Das Feuerwehrauto ist angesprungen. Die LaBrassBanda-Besatzung rückt aus.
Christian Jooß
Konzerte im Circus Krone, Marsstraße 43, 23. Oktober (ausverkauft), 24. Oktober und 7. November
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