Bären lieben Honig

Zum 60. Jubiläum der Berlinale verliert derWettbewerb deutlich an Niveau. Der TürkeSemih Kaplanoglu gewinnt Gold für „Bal“,dreifach Silber-Trophäen gibt es für die Russen
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News

Zum 60. Jubiläum der Berlinale verliert derWettbewerb deutlich an Niveau. Der TürkeSemih Kaplanoglu gewinnt Gold für „Bal“,dreifach Silber-Trophäen gibt es für die Russen

Angesichts der überglücklichen Bären-Gewinner bei der Abschlussgala der 60. Internationalen Filmfestspiele Berlin war der allgemeine Verdruss über das lieb- und kenntnislos zusammengestellte Wettbewerbs-Programm, das vom Lieblings- zum Stiefkind mutierte, fast vergessen. Trotzdem muss der notorisch spaßig aufgelegte Dieter Kosslick, der als Festivalchef seit 2002 die Berlinale immer populärer gemacht und dem deutschen Film wieder auf die Sprünge geholfen hat, aufpassen.

Die Rekord von 300 000 Zuschauern 2010 tröstet nicht über den internationalen Niveau-Verlust hinweg, der den Konkurrenz-Festivals Cannes und Venedig zuspielt. Wie kann es sein, dass ein so frauenverachtender, zynisch brutaler Sado-Maso-Mist wie Michael Winterbottoms „The Killer Inside Me“ in den Wettbewerb rutscht? Schon bei Robert Redfords US-Sundance-Festival Ende Januar wurde Winterbottom laut ausgebuht.

Was soll ein zynischer Sado-Maso-Mist im Hauptprogramm?

Das aus Branchenleuten und Filmjournalisten bestehende Auswahlgremium bediente zum 60. Jubiläum vor allem ehemalige Bären-Sieger, auch wenn deren neue Filme viel schwächer waren. Größte Ausnahme: Die junge Bosnierin Jasmila Zbanic mit „Na putu“, einem still-eindringlichen Gesellschaftsdrama aus dem heutigen Sarajevo.

Da es keine eindeutigen Bären-Favoriten gab, ergoss sich der Segen der Jury unter Vorsitz von Werner Herzog überraschungslos auf allerlei Preiswürdiges. Die drei deutschen Beiträge gingen leer aus. Mit „Bal“ (Honig), dem Abschluss seiner rückwärts erzählten semiautobiografischen Trilogie, gewann der Türke Semih Kaplanoglu (siehe Kultur-Frage) den Goldenen Bären.

Sein Alter ego Yusuf ist nun ein sechsjähriger Junge, dessen Vater, ein Bienenzüchter, im anatolischen Bergwald verschwindet. Ein kontemplativ erholsamer Film über die Schönheit der Natur und familiären Zusammenhalt. „Bären lieben Honig“, freute sich Kaplanoglu bei der Dankesrede in Anspielung auf die Trophäe. Dass man Roman Polanski mit dem Regie-Bären für seinen rasanten Politthriller „Der Ghostwriter“ abspeiste, war angesichts der Auswahl ein wenig bitter – und ironisch der von den Produzenten verlesene Dank Polanskis aus dem Hausarrest in Gstaad: „Selbst wenn ich gekonnt hätte, wäre ich nicht gekommen. Denn als ich das letzte Mal auf einem Festival einen Preis entgegennehmen wollte, bin ich im Gefängnis gelandet.“ Polanski droht in den USA ein Prozess wegen einer Vergewaltigung im Jahr 1977.

Die seligsten Abräumer waren die Russen mit dem bezwingenden Arktis-Inseldrama „How I Ended This Summer“, einem Männer-Film nicht nur nach Herzogs Geschmack. Drei Silberbären gab es – für Kameramann Pavel Kostomarov, die Schauspieler Grigori Dobrygin und Sergei Puskepalis. Als Meteorologen auf einer einsamen Station geraten sie in einen existenziellen Zweikampf. Beste Schauspielerin wurde die Japanerin Shinobu Terajima in „Caterpillar“ (Raupe) von Koji Wakamatsu als Frau eines ohne Gliedmaßen heimgekehrten Kriegshelden, der auch noch eheliche Rechte einfordern kann. Ein sehr extremer Film.

Zu Recht ging der Große Preis der Jury an den Rumänen Florin Serban für sein Jugenddrama „Wenn ich pfeifen möchte, pfeife ich“. Für das Script zu seinem Eröffnungsfilm „Tuan Yuan“ wurde der Chinese Wang Quan’an geehrt.

Angie Dullinger

  • Themen:
Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.