Außerirdische aus dem Mischpult
Die Augsburger Klang-Künstler Gerhard Zander und Gerald Fiebig holen in der Münchner "tube" Musik raus, wo eigentlich keine sein dürfte
Die Location sieht ein bisschen aus wie das Tonnengewölbe im Augustinerkeller am Rundfunkplatz. Die Geräusche in der t-u-b-e, einer viel zu wenig bekannten Münchner Klanggalerie, sind jedoch anders. Zwar gibt's auch Bier, aber statt einer Blaskapelle steht in der Mitte des Raumes nur ein Tisch mit schwarzer Decke. Es ist die Arbeitsfläche für Gerald Fiebig und Gerhard Zander, zweier Augsburger Experimentalmusiker, die gestern Abend ein Programm mit dem für Laien eher gar nichts versprechenden Namen "No input & prepared guitar" darboten.
Auf dem Tisch: Mischpulte, Kabelsalat und fast mehr Knöpfe, Schalter und Regler als in einer Boeing 747. Sonst: keine Instrumente. Keine Geige, kein Kontrabass, kein Klavier, keine Trompete, nicht mal eine Triangel. Und trotzdem kommen Töne, wo eigentlich keine sein dürften. Musik aus Nichts.
Balzrufe einer noch zu erschaffenden Spezies
Da ist tatsächlich nur das "No-input Mixing Board", ein Mischpult, dessen Input mit dem Output verbunden wird und daher Rückkopplungsgeräusche erzeugt. Was normalerweise nach einer missglückten Mikroprobe vor einem Lady-Gaga-Konzert klingt, klingen müsste, verwandelt sich unter den Händen der zwei Augsburger jedoch in sanfte Sphärenklänge.
Mit Effektgeräten trotzen Fiebig und Zander dem Pult eine erstaunliche Bandbreite an Tönen ab: Da meint man einen pfeifenden Wind zu hören, einen mitteilsamen Außerirdischen, gellende Schreie, zwitschernde Vögel, melancholische Wale, aufgeregte Affen, bettelnde Seehunde, fauchende Drachen, Balzrufe einer noch zu erschaffenden Spezies, das Geräusch, wenn man mit dem Strohhalm die letzten Luftbläschen aus dem Milchshake saugt oder mit dem Fingernagel einen hartnäckigen Aufkleber abrubbelt.
Keine Dauerhuster und kein Handyempfang
In der t-u-b-e (Einsteinstraße 42, Kuratoren: Ulrich Müller und Dr. Jörg Stelkens) kommen die Klänge aus acht Boxen und allen Richtungen. Das bei dieser Form der Musik naturgemäß überschaubare Publikum sitzt auf Podesten, die mit gänzlich unversifften und äußerst bequemen Kissen ausgestattet sind. Manche liegen auf dem Rücken, andere haben die Beine hochgelegt, andere stehen. Trotz dieser Lässigkeit herrscht angenehme und konzentrierte Ruhe: kein Rascheln, keine Dauerhuster, kein Handyempfang in der backsteinernen Röhre.
Nach rund 20 Minuten kommt eine E-Gitarre ins Spiel. Auch sie bleibt auf dem Tisch liegen, wird minimal bearbeitet und durch gezielte Präparationen neu hörbar gemacht. Fiebig und Zander bewegen während des gesamten Konzerts nur ihre Hände, meist nur einzelne Finger - gegen sie würde wohl selbst ein Buddha wie ein überdrehter DSDS-Kandidat wirken.
Das Zusammenspiel funktioniert blind, nur zu Beginn drücken beide gleichzeitig auf eine große Stoppuhr, um zwischen Absprache und spontaner Improvisation eine Orientierung zu haben. Als die Uhren 60 Minuten anzeigen, ist das Konzert vorbei. In der t-u-b-e wird selbst der Applaus zum Klangerlebnis.
Timo Lokoschat
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