Ausgelassene Spielereien
Art Nouveau und Jugendstil: Ab Donnerstag öffnet sich im Museum Villa Stuck ein aufregend schillerndes Objekt-Kaleidoskop aus bisher verschlossenen Münchner Privatsammlungen
Verspielt, üppig, ausschweifend – die Fantasie scheint überzuschwappen. Sie quillt aus Kelchen mit sich räkelnden Nymphen, Schalen, auf deren Rändern Panther schleichen, und Fässern in Gestalt von Sirenen, die sich Tintenfischarmen entwinden. Wer mit den hiesigen Ausgelassenheiten des Jugendstils vertraut ist, darf nochmal Augen machen in Anbetracht dieser Fülle: Im Museum Villa Stuck sind ab morgen „Meisterwerke aus Münchner Privatbesitz“ zu sehen, Exponate des Jugendstils und des Art nouveau aus den 1880er bis 1910er Jahren. Fast alle Objekte werden hier zum ersten Mal in einer öffentlichen Ausstellung präsentiert.
Und schön: Die Herkunft aus den innovativen Zentren Europas – von Frankreich und Belgien über Deutschland bis nach Skandinavien – sowie den USA öffnet ein aufregendes Kaleidoskop an Stilen wie Sujets. Man kann vergleichen und darf sich wundern über sehr eigene Spielarten, über verschrobene Einzelgänger oder Blitzlichter, die den Betrachter anspringen wie eine Raubkatze. Und derlei Viechereien gibt es nicht wenige, was am Faible für Exotisches liegen mag und mehr noch am Japonismus, der wie die berühmte „Woge des Hokusai“ über den Westen hereinbrach.
Flatternde Elfen, tauchende Frösche, glotzende Koikarpfen
Kein Wunder also, dass diesem wunderbaren Wahnsinn das Dogma des Ornamentverzichts folgen musste – das auch noch lange nachwirkt. Erst in den 1960er Jahren kam der Jugendstil wieder en vogue, begannen sich Sammler ganz gezielt mit der genresprengenden letzten großen Reformbewegung zu befassen. Und man bemerkt die Rückbesinnung auf die Jahrhundertwende nicht nur an den schrillen Plattencovern im Psychedelic-Look, der in einigen Plakatmotiven dieser Schau auffällige Vorbilder hat.
Frappierend ist das Interesse am Ungewöhnlichen, das demonstriert gleich der Auftakt mit Edmond Lachenals Schalen, auf denen Frösche tauchen (1880), Théodore Decks Elflein, das auf einem Fayence-Blatt liegend von Libellen bekränzt wird (1895), oder Eugène Rousseaus Glasvase mit einem glotzenden Koikarpfen (1884). Und das ist lange nicht alles, was sich um Karaffen, Kübels, Haarspangen oder Stuhlbeine windet. Immerhin gab es gerade in Paris Avantgarde-Galeristen – Siegfried Bing etwa und Julius Meier-Graefe – die ohne Scheu auch Allerschrägstes förderten. Und vermutlich wurde selten so sehr experimentiert. Sei’s mit opakem und transluzidem Email, sei’s mit Glas- und Metallverbindungen, Keramik oder schillerndem Steinzeug.
Dass die Münchner zwischen Richard Riemerschmid und Friedrich Adler, zwischen Bruno Paul oder Franz Ringer eine ganz eigene Couleur ins Spiel bringen, fällt im Umkreis dieser erfrischend subjektiv zusammengetragenen Sammlungen deutlicher noch ins Gewicht, als das in großen Museumsrundumhieben der Fall ist. Fern vom Ornamentalen wächst es hier organisch, greift der Monismus des Ernst Haeckel, suchen die Strukturen Bezug zum Archaischen. Und wird dieser Ernst schließlich gnadenlos torpediert vom bitterbösen Witz eines Thomas Theodor. Heine. Doch, dank dieser wilden Mischung sieht man hier wirklich Neues.
Christa Sigg
28. Oktober bis 23. Januar, Katalog 45 Euro
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