Aus der Tiefe des Körpers
Tina Turner rockt die Olympiahalle und könnte die Zukunft im Blues finden
Am Ende der Triumph. Der riesige rot-samtene Bühnen-Puffvorhang ist nach zwei Stunden gefallen. Die Halle klatscht, pfeift und ruft. Und die Show setzt noch einmal an – mit ihrem persönlichsten Song, ihrer Abrechnung mit Engstirnigkeit und grausamer Bigotterie der rassistischen Südstaaten, in die sie 1939 als Anna Mae Bullock hineingeboren wurde, in die „Nutbush City Limits“, Tennessee. Jetzt, 70 Jahre später, steht sie als Tina Turner energiegeladen mit ihren Marlene-Dietrich-Beinen in engen schwarzen Leggins und weißem, weit ausgeschnittenen Piratenhemd auf einer Hebeplattform. Der Kran hat sie weit in die Halle hineingetragen. Und 10000 Kehlen brüllen immer wieder „Nutbush“ – und sie gibt die Einsätze, dirigiert die Masse, sie ist die Königin der Olympiahalle mit ihrer heiseren und doch auch so metallisch schneidenden Stimme, die ungebrochen die Nacht durchpowert.
Im schwarzen Pailletten-Kleid hatte sie das Konzert mit „Steamy Windows“ begonnen, und sofort herrschte eine dampfige, elektrisierte Südstaaten-Hitze. Dazu passt auch, dass nach der Hommage an ihre Testosteron-Fans („Typical Male“) ihr früher Rythm’n’Blues-Song „River Deep Mountain High“ erotischen Gänsehautschwindel verbreitet, mit dem anfänglichen Bass-Wummern, über das sich Turners aus der Tiefe des Körpers herausgeholte Stimme erhebt, klagend und doch immer stärker werdend.
Sie tanzt die Mädels an den Rand
Wer geglaubt hatte, dass Tina Turner ein Dutzend Jahre nach ihren letzten Münchner Auftritten langsamer treten würde, hatte sich getäuscht. Beim Stöckelschuh-Can-Can zu „Better Be Good To Me“ tanzt sie ihre Sex-Shop-Gogo-Girl-Mittänzerinnen mühelos an den Rand. Aber heute verzichtet unser „Privat Dancer“ beim Prostituierten-Song, der ihrem Comeback 1984 den Titel gab, auf offensives Sexgehabe und schafft damit mehr Sex bei weniger Vulgarität.
Und als Tina Turner von ihren Musikern club-artig umringt auf einem Barhocker sitzend den zweiten Teil des Abends ruhiger angeht, ahnt man, wohin die Reise gehen könnte, wenn diese fantastische Frau weiter macht: Lady sings the Blues!
Peinlich nur die Mad-Max-Einlage
Aber vielleicht müsste Tina Turner mutiger werden, nicht alles exakt durchzuchoreografieren, spontaner zu reagieren und einen Dialog mit dem Publikum zu riskieren. Aber dafür ist sie wohl zu perfektionistisch.
Peinlich war nur der kurze Mad-Max-Auftritt im archaischen Sci-Fi-Silberkostüm mit überdimensionierter, superblonden Vokuhila-Perücke, begleitet von einer martialischen Männertanz-Einlage. Aber schon bei „Golden Eye“ glänzt Tina Turner wieder im schwarzen, strass-besetzten Abendkleid, aus der Höhe des Bühnenaufbaus eine Silbertreppe hinabschreitend.
„We Don’t Need Another Hero“, wir haben ja Tina Turner.
Adrian Prechtel