Aus dem Maulaffenstall
Der Bürgerschreck und Kabarettist Sigi Zimmerschied über seine neue Beschwörung der „Zeitgeister“.
Vor 28 Jahren war Sigi Zimmerschied in Niederbayern einer der beiden „Verhohnepeopler“, die bei einer Himmelskonferenz Gottvater durch den Erzengel-Funktionär Michael entmachten ließen. Das brachte im „schwarzen“ Passau eine Klage wegen Gotteslästerung (mit Freispruch in letzter Instanz) und ein haltbares Image als Bürgerschreck für die Region. Schon ein Jahr später gab es Sigis erstes Profi-Solo „Zwischenmenschen“. Seither haben Programme wie „Danemlem“, „Ihobs“, „Hirnrisse“ und „Ausschwitzn“ tiefe Spuren hinterlassen. Parallel zu „Zeitgeister“ ist Zimmerschied in Marcus H. Rosenmüllers Film „Die Perlmutterfarbe“ zu sehen.
AZ: Herr Zimmerschied, eigentlich wollten Sie den „Reißwolf“ füttern, aber jetzt beschwören Sie „Zeitgeister“. Heißt das, dass Sie die Erkenntnisse der Vergangenheit lieber nicht schreddern?
SIGI ZIMMERSCHIED: Es gab da zum einen das Gespür, dass der Reißwolfstoff noch Reifezeit braucht, zum anderen die wachsende Faszination, Texte, Filme, Figuren und Fragmente, die teils dreißig Jahre auseinander liegen, so zu montieren, dass sie miteinander korrespondieren.
Sie spotten nach Ihrer Zeitrechnung schon seit 35 Jahren über Ihre Welt. Hatten Sie anfangs den Antrieb, damit direkt etwas zu bewirken?
Ja, und den habe ich immer noch. Nur bezog er sich nie auf die Umstände, sondern immer auf mich. Ich habe mir mit den Waffen des Kabaretts, der Ironie und der Satire einen Freiraum erkämpft, den mir die Gesellschaft freiwillig nicht geben wollte. Das ist der Unterschied zwischen Satiriker und Missionar.
Der Boden Ihrer Satire war das schwarze Niederbayern. Hätten Sie ohne Passauer Verhältnisse womöglich einen friedlicheren Beruf ergriffen?
Es war nie das „schwarze Niederbayern“, es war immer das farblose, das assimilationsbereite Nirgendwo, das mich provozierte. Die Opportunisten, die Feigen, die Mitläufer waren immer mein Thema. Alles andere sind willkommene Gegner.
Sie waren lange Jahre der Schrecken der Provinz. Heute ist die Kabarettbühne eine Freihandelszone für unverschämte Wortwahl. Fehlt Ihnen da manchmal etwas?
Mir fehlt nichts, weil ich mich nicht von Masochismus ernähre, sondern von der Unauflöslichkeit der Widersprüche. Und die gibt’s immer und überall.
Als Sie mit durchdringendem Blick und stechendem Zeigefinger aufs Publikum losgingen, wurde das als aggressiv empfunden. Heute sind Sie einzugliedern als Quotenbringer beim „Scheibenwischer“. Hat sich Zimmerschied geändert oder das Kabarett?
Keine Sorge, ich habe mich nicht verändert. Und meine Ab-und-zu-Anwesenheit in Kabarettformaten entspringt eher dem schlechten Gewissen von Fernseh-Redakteuren oder einem kuriosen Raritätenproporz als einer fundierten Haltung. Ich bin immer noch schwer medienkompatibel. Erstaunlicherweise ist die inhaltliche Zensur durch eine formale Zensur abgelöst worden.
Was heißt das?
Sagen kann man wirklich mehr als früher, allerdings nur in der quotensicheren Form des dialektfreien Schießbuden-Wortkabaretts. Das schwerer vermittelbare literarische, schauspielerische oder visuelle Kabarett wird verhindert. Die gegenwärtige kabarettistische Formenlandschaft ist öder als vor hundert Jahren. Das musste ich schmerzhaft erfahren, als ich ein Format für den BR zu entwickeln versuchte.
Sie sind immer wieder als Film-Schauspieler zu sehen. Wie steht es um die Anteile von Gesinnung und Komödiantik beim Live-Satiriker Zimmerschied?
Sie halten sich die Waage und sind untrennbar miteinander verbunden. Jede gute Komödie ist eine Tragikomödie, und jedes Gesinnungspostulat ohne Ironie ist eine Lüge. Der Mensch ist heillos, und das bereitet dem Satiriker unanständigerweise Vergnügen.
Die Karikatur von schwadronierenden Alltags-Typen, die gnadenlose Parodie der Selbstgerechten gehört zu Ihren besonderen Mitteln. Finden Sie die Vorbilder 2009 auf gleiche Weise wie 1973?
Mühelos, der Maulaffenstall quillt über.
Dieter Stoll
Drehleier, bis 31. Januar , 3. – 7. Februar, 20.30 Uhr, Tel.482742
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