Aufstand in der Badewanne

Mit einer effektvollen Bühnenshow eröffnete Umberto Giordanos Revolutionsoper „André Chénier” die Festspiele in Bregenz
Volker Boser |
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Zur Eröffnung des Festivals am Vormittag durften alle die „Marseillaise” singen. Intendant David Pountney gab den Ton an. Dann kam der große Regen. Die Wetterkapriolen am Bodensee ließen bis kurz vor Begin keine sichere Prognose zu, ob das Spiel auf dem See überhaupt stattfindet. Doch es klappte. Mit Umberto Giordanos Oper „André Chénier” hatten die Verantwortlichen einmal mehr das große Los gezogen. Herrlich leidenschaftliche Musik, prächtige Sänger, dazu eine effektvolle Bühnenshow – Bregenz erlebte eine der glanzvollsten Premieren der letzten Jahre.

Warum der scheidende Präsident Günter Rhomberg ausgerechnet mit der „Marseillaise” geehrt wurde, hatte natürlich seinen Grund. Schließlich spielt Umberto Giordanos Oper in den Wirren der Französischen Revolution. Ausstatter David Fielding klotzte: Als Vorlage für die Bühnenkonstruktion diente ihm das Gemälde „Der Tod des Marat” von Jacques-Louis David.

Der radikale Revoluzzer wurde bekanntlich in seiner Badewanne erstochen. Ein riesiger Oberkörper ragt aus dem Bodensee. 160 Treppenstufen führen über die Brust bis hinauf zum Gesicht. Der Kopf wiegt stolze 60 Tonnen und kann nach hinten gekippt werden. Akrobaten turnen auf dem anfangs verhüllten Torso. Wer nicht schwindelfrei ist, der hat keine Chance. Im Inneren eines Spiegels baumeln die gehenkten Adeligen. Der Dichter André Chénier wohnt standesgemäß in einem aufgeklappten Buch.

Zwei Stunden vergehen wie im Flug

Dass die Liebesgeschichte zwischen ihm und Maddalena di Coigny an den Haaren herbeigezogen und nur wenig plausibel erscheint, muss dem Librettisten Luigi Illica angelastet werden. Er hat sich später für Puccinis „Tosca” eine ähnliche, aber weitaus plausiblere Story ausgedacht. Den Fans ist das egal. Am Bodensee triumphierte kraftvolle Italianità, vom Dirigenten Ulf Schirmer und den Wiener Symphonikern nicht immer elegant, aber mit deftigem Nachdruck angeheizt.

Die Verstärkung der Musik über Lautsprecher ist nichts für feinsinnige Gemüter, so virtuos sie mittlerweile auch funktionieren mag. Wem es um Stimmen geht, der wird nach wie vor in Erinnerungen schwelgen. Bregenz ist zuallererst ein Event fürs Auge. Kostüme (Constance Hoffman), Lichtregie (Davy Cunningham) und Inszenierung (Keith Warner) sorgen dafür, dass die zwei Stunden wie im Fluge vergehen. Das Rezept ist einfach, aber wirkungsvoll: Man provoziert nicht, sondern will unterhalten.

Ein Extralob dennoch auch den Sängern. Tenor Héctor Sandoval in der Titelpartie und Bariton Scott Hendricks (Gérard) würden jeder großen Opernbühne zur Zierde gereichen. Und Intendant David Pountney ist ein Glückskind. Wieder einmal hat er ins Schwarze getroffen. Seine Erfolgsbilanz ist mittlerweile außergewöhnlich. Doch alles geht einmal zu Ende: In zwei Jahren wird auch er sich am Bodensee verabschieden – mit Mozarts „Zauberflöte”.

Bis 21. August, Infos unter www.bregenzerfestspiele.com, Tickets unter Tel.0043 / 5574 4076; Fernsehübertragung live aus Bregenz: 22. Juli, 21.20 Uhr, auf ORF und Classica bei Sky

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