Antike Helden in Skiunterhosen

Die Ägineten sind immer noch für Überraschungen gut – Glyptotheks-Direktor Raimund Wünsche hat sie ins Visier genommen: Die Ergebnisse sind ab 14. April in einer umfassenden Ausstellung zu sehen
Christa Sigg |
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Helden haben’s schwer. Kaum stehen sie auf dem Sockel, schon werden sie hinterfragt. Auch nach 2500 Jahren. Zur Zeit knöpft sich Raimund Wünsche die Oberheroen der Glyptothek vor. Mit gutem Grund: Vor genau 200 Jahren wurden die berühmten Ägineten gefunden. Diese Giebelskulpturen des Aphaia-Tempels von Ägina, einer Insel vor Athen, stellen die Kämpfe vor Troja dar – wo weniger die Athener, als vor allem die Helden von Ägina von sich Reden gemacht haben. Telamon etwa oder Aias (Ajax). Ab 14. April sind die Ägineten Mittelpunkt einer umfassenden Ausstellung in der Glyptothek.


AZ: Herr Wünsche, bevor wir über Details sprechen: Sind die Ägineten denn auf legale Weise in Bayern gelandet?
RAIMUND WÜNSCHE: Völlig legal. Die Entdecker – Carl Haller von Hallerstein und der Engländer Charles Robert Cockerell – haben die Skulpturen den Inselbehörden abgekauft. Haller regt sich in seinen Aufzeichnungen ständig auf über die Gebühren für Rechtsanwälte oder Notare.

Aber dann?
Der Fund wurde nach Athen gebracht, dort entschloss man sich, das Ganze zu versteigern. Um einen guten Preis zu erzielen und um allen Ländern einen Ankauf zu ermöglichen. Haller hat den Wert sofort erkannt und Kronprinz Ludwig informiert.

Der Ober-Philhellene war sicher leicht zu begeistern.
Natürlich. Und weil die Auktion kurzfristig nach Malta verlegt wurde, war nur der bayerische Gesandte rechtzeitig zur Stelle. Ludwigs Kunstagent Johann Martin Wagner konnte die Skulpturen also „ungehindert” erwerben.

Ein echter Coup.
Unbedingt! Und diesen aufregenden Erwerb schildern wir in der Ausstellung. Auch zu den Ausgrabungen haben wir neue Dokumente. In Berlin ist vor einigen Jahren das 1945 verschollene Skizzenbuch Hallers wieder aufgetaucht. Haller und Cockerell waren übrigens gar nicht auf der Suche nach Skulpturen, sie wollten den Tempel vermessen. Zufällig wurde ein Kopf freigelegt, so ging’s los. Alles wurde minutiös festgehalten, Konstruktionszeichnungen angefertigt.

Im heutigen Sinne ein wissenschaftliches Vorgehen.
Ja, die Entdecker gingen wirklich methodisch vor, auch das fächern wir auf.

Und was zeigen Sie außer den bekannten Originalen?
Die Ergänzungen des Bildhauers Bertel Thorwaldsen. Immerhin waren die Ägineten bis 1939 damit ausgestellt. Dann wurde die Glyptothek geschlossen, später zerstört. In den 60er Jahren ließ Dieter Ohly, der damalige Leiter der Antikensammlungen, die Ergänzungen abnehmen. Damit man sich ein umfassendes Bild machen kann, zeigen wir auch Thorwaldsens Version.

Warum hat man die Figuren eigentlich ergänzt?
Das war Ludwigs ausdrücklicher Wunsch und zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch üblich. Thorwaldsen, den er für den nordischen Phidias hielt, hatte große Bedenken. Aber selbst ein Kunstkenner wie Jacob Burkhardt war später von den Ergänzungen völlig begeistert.

Und die Aufstellung?
Den Ostgiebel hat Ludwig sogar selbst aufgestellt. Durch die vielen Quellen, die wir jetzt ausgewertet haben, wissen wir, dass es damals sehr unterschiedliche Ansichten gab. Und es kam zu kuriosen Lösungen. Etwa, dass ein griechischer Bogenschütze seinen griechischen Vordermann in den Rücken schießt. Die Logik des Kampfes interessierte nicht. Es sollte halt gut ausschauen.

Ein Dauerthema des Klassizismus.
Wobei für die richtige, antike Aufstellung der Figuren schon der Archäologe Adolf Furtwängler (Anm. der Red.: der Vater des Dirigenten) kurz nach 1900 richtige Lösungsansätze gefunden hat.

Nicht wirklich klären kann man wohl die Farbe?
Da ist einfach nicht mehr genug vorhanden. Aber unsere Ägineten lieferten ja den ersten wirklichen Beweis, dass die griechische Plastik bemalt war. Das hat damals eine regelrechte Mode befördert. München war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Metropole der farbigen Skulptur.

Man sieht aber doch noch Farbreste auf den Ägineten.
Sie haben aber sehr stark abgenommen. Im Boden blieben die Farben ja feucht, nach der Ausgrabung sind die Figuren ausgetrocknet, das Bindemittel hat sich abgebaut, die Farbe hielt nicht mehr. Und bei der Rekonstruktion landet man dann schnell im Bereich der Fantasie. Man hat viele Farbreste in Rot und Blau.

Kann man daraus denn nichts basteln?
Man darf sich da nichts vormachen, das würde ja auch nur wieder den Geschmack unserer Zeit repräsentieren. So, wie wir heute sofort sehen, dass eine Rekonstruktion aus dem 19. Jahrhundert stammt.

Sie haben sich beim Bogenschützen für Rot und Gelb entschieden.
Bei Weiß-Blau hätte man vielleicht gedacht, der Wünsche spinnt. Aber im Ernst, Rot ist die Farbe, von der am meisten erhalten ist. Und Gelb passt gut. Es kam aber eine wichtige Entdeckung dazu: Die Restauratorin Dagmar Drinkler hat erkannt, dass diese sehr eng anliegende Hose des Bogenschützen gesprangt sein muss. Sprangen ist eine uralte Technik, die uns auch im Mittelalter begegnet. Mützen sind zum Beispiel gesprangt. Dazu werden zu Beginn sämtliche Fäden eingespannt und dann miteinander verknüpft. Das ergibt ganz bestimmte Motive, diese typischen Zickzack-Muster. Auf der Vasenmalerei kann man genau erkennen, was gesprangt ist. Es ging uns ja nicht um die konkrete Farbe, sondern wir wollten zeigen, wie so ein Gewand ausschauen könnte.

So einen Kämpfer durfte ja nichts behindern.
Ja, man muss sich das heute vorstellen wie Leggings oder diese engen Laufhosen der Jogger. Oder Skiunterhosen.

Das schreit aber nach einem Test auf der Skipiste.
Da sind wir leider ein bisschen spät dran. Vor 20 Jahren haben am Arlberg ohnehin alle Skilehrer so ausgeschaut.

 

"Kampf um Troja - 200 Jahre Ägineten in München" vom 14. April 2011 bis 31. Januar 2012 in der Glyptothek am Königsplatz

 

 


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