Anna, Mutter der Schmerzen

Mit Leidenschaft wirft sich die Netrebko auf Pergolesis berühmtes „Stabat Mater” – Puristen dürften aufheulen, doch die Sache funktioniert
von  Christa Sigg

Allein der Anfang könnte ewig dauern: Wenn sich Sopran und Alt ganz sachte aneinander schmiegen, umwinden und dabei auf einer Streicherwolke schweben, dann steht die Zeit still. Schmerzenstöne von betörender Schönheit hat der tragisch früh verstorbene Giovanni Battista Pergolesi in sein „Stabat Mater” gewoben. Und Anna Netrebko wirft sich mit Marianna Pizzolato geradezu emphatisch in diese Kantate des Leids, nimmt ihre ganze opernhafte Dramatik hinüber in die ihr völlig fremde barocke Sakralkultur.

Pergolesi verträgt die expressive Zuspitzung

Das hat seinen Reiz, Pergolesi verträgt eine gute Portion expressiver Zuspitzung. Allerdings stößt diese Ballung an Gefühl, diese Üppigkeit des Wohlklangs (wenn man einmal davon absieht, dass die Netrebko meistens eine Spurz zu hoch liegt) zuweilen an die Grenzen ihrer Wirkmacht. Geradezu irritiert pendelt man zwischen Stimmgenuss – das Timbre der Russin ist noch einmal deutlich dunkler geworden – und der Erinnerung an all die segensreichen Entschlackungskuren und die eindringliche Prägnanz versierter Originalklang-Exegeten. Und Barockpuristen müssen bei dieser Einspielung tatsächlich aufjaulen!

Weltliches liegt den dramatischen Damen besser

Doch die Sache funktioniert trotzdem. Wunderwaffe Antonio Pappano und sein historisch informiert operierendes Orchestra di Santa Cecilia setzen einen klaren Kontrapunkt und hindern die beiden Sängerinnen, sich im Farbbad emotionssatter Töne zu verlieren. Damit gehen historische und konventionelle Aufführungspraxis hier eine interessante, ja sogar entspannt friedliche Verbindung ein. Wobei die beiden weltlichen Kantaten der CD, das muss man schon zugeben, den dramatischen Damen besser liegen.

„Stabat Mater”, Deutsche Grammophon

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