Angst einflößend? Die junge Jazz-Offenbarung Immanuel Wilkins

Der junge Saxophonist Immanuel Wilkins geht an physische und psychische Grenzen
Ssirus W. Pakzad |
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"Es reicht nicht kompetent zu sein, ich muss was anbieten können, was die Leute auch hören wollen!": Immanuel Wilkins.
Ssirus W. Pakzad "Es reicht nicht kompetent zu sein, ich muss was anbieten können, was die Leute auch hören wollen!": Immanuel Wilkins.

Gerade sind die Ergebnisse reingekommen. Aus der jährlichen Umfrage, die das amerikanische Magazin "Down Beat" unter Kritikern aus aller Welt durchführen lässt, ist Immanuel Wilkins heuer in gleich drei Kategorien als Sieger hervorgegangen: Altsaxofon, Jazz-Gruppe des Jahres (Rising Star) und Komponist des Jahres (Rising Star). Das Publikum, das den heute 25-Jährigen bei seinem Münchner Debüt im März 2022 erleben konnte, dürfte über dieses Votum kaum erstaunt sein.

Allein der letzte Teil des damaligen Konzerts war ein langer Moment für die Ewigkeit. Immanuel Wilkins und die Seinen spielten mit "Lift" ein Stück, das auf dem Album "The 7th Hand" schon 27 Minuten währt, in der Bühnenversion aber über eine Dreiviertelstunde dauerte.

Mit fast unmenschlicher Kondition, mit infernalischer Kraft hoben der in New York lebende, an der Juilliard School ausgebildete Mann aus Philadephia und seine drei Gefährten ab, steigerten sich so sehr in diese hoch spirituelle Nummer hinein, als wollten sie direkten Kontakt zum Schöpfer aufnehmen. Es kam einem vor, als sei da gerade eine Gospelmesse völlig außer Rand und Band geraten. Wie werden sie es wohl schaffen, wieder zum Thema des Stücks zurückzufinden, fragte sich viele der Anwesenden? Wilkins und seine Freunde haben es hin gekriegt.

Wie brenzlich sind solche musikalischen Situationen, in denen die Ausübenden so stark loslassen, in denen sie sich so sehr hingeben, fast opfern? "Das kann definitiv gefährlich und angsteinflößend werden", sagt Wilkins beim Gespäch: "Es hat zudem etwas sehr Verletzliches, wenn man sich in eine solche Situation begibt, ganz besonders dann, wenn man es vor Publikum tut. Wir haben da mit der Band ein Ritual entwickelt und gehen physisch betrachtet an unsere Grenzen. Das ist keine einfache Musik, sondern eine sehr intensive. Wir müssen uns körperlich fit halten, um das durchzustehen. Wir geben uns irgendwie einer höheren Macht hin."

Der Glauben und die Anrufung seiner Ahnen spielen eine besondere Rolle in Immanuels Wilkins' Musik, wie schon die rituelle Taufszene auf dem Cover seines zweiten Albums "The 7th Hand", einem Jazz-Wunderwerk, zeigt.

Vielleicht muss seine gelebte Spiritualität auch als eine Erklärung dafür herhalten, wies es sein kann, dass ein Mittzwanziger soviel Tiefe und Reife besitzt. Eine andere mag sein, dass sich das Einzelkind Immanuel Wilkins immer von älteren Musikern an die Hand nehmen ließ.

Viel hat er von Ihnen gelernt, noch heute profitiert er von der musikalischen Gegenwart weiser Bandleader. So ist Wilkins Mitglied im Quintett des legendären Pianisten Kenny Barron, betreibt er ein Trio mit dem 84-jährigen Tenorgiganten Odean Pope, spielte mit Wynton Marsalis und Bob Dylan.

Die umfassende Erfahrung an der Seite von Veteranen nutzte ihm allerdings nur bedingt etwas, als Immanuel Wilkins zum Studieren nach New York kam. Heute gilt er weltweit als einer der besten und eigenständigsten Altsaxofonisten und wird als Ikone der Zukunft gehandelt. Damals aber? "Ich wollte zunächst nichts an dem ändern, was ich zuvor gemacht hatte, geschweige denn einzigartig klingen - bis ich dann nach New York zog", sagt Wilkins und prustet los.

Auf Fotos sieht er immer todernst aus, im Interview aber lacht fortwährend, wirkt ein wenig überdreht. "Ich erinnere mich an eine Jam-Session, an der zwanzig andere Saxofonisten teilnahmen und jeder einzelne hatte es drauf. Da dachte ich mir, es reicht nicht kompetent zu sein, ich muss was anbieten können, was die Leute auch hören wollen. Es hatte übrigens etwas mit dem Atem zu tun, das mich am Saxofon anzog, also, dass ich hineinpusten musste und die Vibrationen des Instruments am ganzen Körper spüren konnte."

Jetzt werden alle, die ein Ticket für sein Münchner Konzert erworben haben, wohl Vibrationen spüren. Immanuel Wilkins bringt zwei Stammspieler mit, den Pianisten Micah Thomas, der auch so ein Jazz-Genie mit großer Zukunft ist, dann den Schlagzeuger Kweku Sumbry und den Bassisten Matt Brewer.

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