Ang Lees "Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger" - Der junge Mann und das Meer
Kinder können grausam sein. Gerade, wenn man einen Vornamen besitzt, der eigentlich nur den Eltern gefällt. Die Hauptfigur aus dem Bestseller „Life of Pi” heißt zwar nicht Detlev, aber Piscine. Damit wollte der Vater auf ein geliebtes Schwimmbad hinweisen – nur verbinden Piscines Klassenkameraden damit etwas anderes, flüssiges: Pisse. Der arme Bursche ist aber nicht auf den Kopf gefallen, und um sich des Pisser-Images zu entledigen, lässt er sich doch glatt einen neuen Spitznamen einfallen: Pi, die Kreiszahl.
Mit viel Witz lässt Yann Martel seinen Ich-Erzähler diese Episode ausschmücken. Und auch Ang Lee will in seiner Verfilmung nicht auf diese Passage verzichten, zeigt sie doch, wie der Held der Geschichte Probleme mit Grips und Einfallsreichtum löst.
Dennoch liegt hier auch die einzige Schwäche seiner riskanten, 120 Millionen Dollar teuren Adaption. Zu lange verweilt der Meisterregisseur auf der Vorgeschichte des Jungen: Neugierig rauscht die Kamera durch seine kindliche Spielwiese, den famosen indischen Zoo seines Vaters, nur um kurze Zeit später Pis Begeisterung für alle Religionen zu bebildern. Aber die Glaubens-Diskurse mit dem strengen Vater wirken aufgesetzt, genau wie die umständliche Rahmenhandlung, die sich aus den Gesprächen des erwachsenen Pi mit einem Inspiration suchenden Schriftsteller ergibt. Nach einer halben Stunde hat der überlange Prolog endlich ein Ende. Ganz plötzlich zieht das Tempo an, peitscht ein digitaler Sturm auf der Leinwand. Ein japanischer Frachter kentert, mitsamt der Zootiere der Patels.
Von seiner Familie kann sich nur Pi auf ein Beiboot retten – gemeinsam mit einer Hyäne, einem Zebra, einem Orang-Utan und dem Tiger Richard Parker. Wer Darwin studiert hat, kann sich denken, wer hier die Oberhand behält. Aber auch Pi bleibt am Leben, weil er weder Glauben noch Hoffnung verliert, und sich mit dem Raubtier arrangiert.
Auf hoher See gelingen Lee fantastische 3D-Bilder, wenn fluoreszierende Quallen den Ozean in ein Farbenmeer verwandeln oder Fische am Zuschauer vorbeifliegen. „Life of Pi” verkommt trotz allem CGI-Zauber aber nie zum Effekte-Spektakel. Das liegt auch am einfühlsamen Pi-Darsteller Suraj Sharma, aber vor allem an der ergreifenden Überlebensgeschichte mit verblüffendem Schluss.
Kino: Cadillac, Cinemaxx, City, Leopold, Mathäser, Rio, Royal, Cinema (OV), Lichtspiele (OV)
R: Ang Lee (China, USA, 127 Min.)
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