Am Fuße der Wirklichkeit
Ein Maler als rasender Traumtänzer von erstaunlichem Bildwitz: Die Hypo-Kunsthalle zeigt Adolph von Menzel als obsessiven Zeichner.
So hat man Adolph von Menzel selten gesehen: Als Männlein in Moriskentänzerpose mit Pinsel zwischen den Zähnen, der mit erhobenen Armen Farbkleckse um sich schleudert. Das „Selbstbildnis als tanzender Maler“ entstand um 1861 – und zeigt eine ungewöhnliche Seite des Künstlers, der sonst mit fast furchteinflößend durchdringendem Blick auf die Welt schaut.
Und dem beim Beobachten seiner Zeitgenossen, ob Adlige, Bürger oder Arbeiter, keine Facette der Wirklichkeit entging. Da ist der Maler als rasender Traumtänzer von erstaunlichem Bildwitz. Jetzt widmet die Hypo-Kunsthalle dem großen Realisten des 19. Jahrhunderts (1815 bis 1905) eine umfassende Ausstellung, in der die Skizzen des obsessiven Zeichners im Zentrum stehen.
Man kennt Menzel, den Sohn eines Lithographen, der als Schöpfer unermesslich detailgenauer Gemälde wie „Das Flötenkonzert Friedrichs des Großen“, der „Krönung Wilhelms I. in Königsberg“ und „Eisenwalzwerk“. Doch die Schau reißt den Historienmaler nur an und lässt stattdessen – am roten Faden der 70 Skizzenbücher (am Touchscreen durchblätterbar) entlang – hinter den Werken Menzel und sein Leben sichtbar werden. Den 1,40 Meter kleinwüchsigen Mann („kleine Exzellenz“ genannt), der in allen Manteltaschen Skizzenbüchlein mit sich herumtrug und noch nachts um eins das kalt gewordene Abendessen abmalte. Und der nie heiratete, weil die von ihm angebetete Friederike Arnold ihn unerhört ließ. Der stattdessen zeitlebens in engem Anschluss an die Familie seiner Schwester lebte – und stolze 90 Jahre alt wurde. Und man meint zu erkennen, dass Menzel, der zwar als Maler zu höchsten Ehren fand, letztlich gesellschaftlich ein Außenstehender blieb – und nur aus dieser Position heraus seine Zeit derart klar sehen konnte.
Dabei nahm er die unbarmherzige Selbstbetrachtung keineswegs aus, was etwa das ungewöhnliche Gemälde mit dem Fuß des alternden Künstlers von 1876 oder das wie vom Schmerz zersetzte „Selbstbildnis mit Zahnrose“ 1892 zeigt. Darüber hinaus kann man anhand der liebevoll-scharfsichtigen Porträts seiner Geschwister, der Eindrücke auf Reisen (z.B. Touristen, die die Ruine Rheinfels zum Pissoir umfunktionieren), der ungewöhnlichen Stadtansichten (u.a. auch von München) und seiner Späh-Angriffe aufs aufgeplusterte Publikum im Theater, auf Bällen, in der Kirche Menzels Können bestaunen. Dennoch sind seine Bilder nie karikatu-resk überspitzt; und stets spielt die Lust am Augenreiz von Prunksälen, Ornat und Roben – und vor allem am Licht! – eine Rolle. Ebenso in seinen Kirchen-Interieurs, die nicht in der Technik, aber inhaltlich impressionistisch sind.
Einzig Erotik kam kaum vor in Menzels erschöpfender Kunst – äußerstes Wagnis war der schiefe Blick ins Dekolleté einer korpulenten Dame. Aber vor dem Tod machte Menzels allumfassendes Interesse nicht halt. 1866 hat er Sterbende nach der Schlacht von Königgrätz porträtiert. Danach widmete sich Menzel nie wieder dem Krieg, weil er zum Schluss kam, dass „keine Malerei die verheerenden Schrecken zu zeigen vermag“.
Roberta De Righi
Bis 31. August, täglich 10 bis 20 Uhr, Katalog 25 Euro
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