Alles nur Tarnung

Auf der Berlinale überzeugen Filme, die weit hinter die Fassade blicken – und natürlich die Frauen
Florian Koch |
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Eigentlich könnte man die Berlinale in die „Weltstar-Weltfrauentage” umbenennen, wenn da nicht ein ernster kleiner Junge dazwischenfunken würde. Nachdem Angelina Jolie die Paparazzi der Hauptstadt fast sechs Tage auf Trab hielt, die große Isabelle Huppert – glücklicherweise nur auf der Leinwand – gekidnappt wurde und Meryl Streep sich heute Abend in die eiserne Lady Margaret Thatcher verwandelt, ist es an Kacey Klein, die harte Realität auf den roten Teppich zurückzubringen.

Der 13-Jährige spielt in „Sister” einen armen Schweizer Burschen, der sich, trotz herrlich verschneiter Pisten, nicht diebisch aufs Ski-Fahren freut, sondern als Dieb die Skier der Touris stiehlt. Mit erschütternder Abgeklärtheit geht er dabei vor, jede Form der Verstellung hat er parat, den Wert der Ware immer im Kopf. Doch hinter der coolen Fassade verbirgt sich ein einsamer Mensch, der sich verzweifelt nach Liebe sehnt. Denn selbst für Umarmungen seiner Schlampen-Schwester, die sich später als seine überforderte junge Mama entpuppt, muss er Geld bezahlen.

"Shadow Dancer" - Verrat für den Sohn

Der Schweizer Regisseurin Ursula Meier gelang hier ein erschütternd realistisches, aber nie deprimierendes Sozialporträt, getragen von einem Kacey Klein, der die seelischen Verletzungen unter seinem Panzer bestens zu verbergen weiß.

Die Angst davor, dass die verborgenen Gefühle für alle sichtbar werden, hat auch Colette in dem britischen Thriller „Shadow Dancer”. Für die „Lady in Red” mit dem blassen Teint und dem tiefgründigen Blick ist Tarnung das A und O, andernfalls lauert der Tod in Form der IRA, die 1993 am nur offiziell für beendet erklärten Konflikt wie besessen nach Maulwürfen fahndet. Colette ist so einer, für ihren Sohn verrät sie auch die Familie an den britischen Geheimdienst.

James Marsh dreht in seinem intelligenten, wendungsreichen und mit Clive Owen und der großartigen Andrea Riseborough bestens besetzten Spionage-Thriller gekonnt an der Spannungs-Schraube.

"Jayne Mansfield’s Car" - sonnige Südstaatenstimmung

Für einen Bären kommt „Shadow Dancer” aber nicht in Frage, er läuft außer Konkurrenz. Dort gehört eigentlich auch „Captive” hin, der auf Authentizität getrimmte Entführungsfilm des Skandalregisseurs Brillante Mendoza. Chronologisch hakt der philippinische Filmemacher eine monatelang andauernde Entführung in seinem Heimatland ab. So richtig nah geht einem das Schicksal der Geiseln nicht, da Mendoza mehr an sich ständig wiederholenden Feuergefechten interessiert scheint, als am Leiden der Figuren. Selbst Isabelle Huppert bleibt im Dschungelstress farblos, vielleicht lag es doch daran, dass Herr Mendoza ständig „improvisieren” wollte, um seine Schauspieler zu „überraschen”. Wenig überraschend, dass ohne klares Drehbuch vieles unklar und vordergründig blieb.

Bei soviel Stress freute man sich doch auf Billy Bob Thorntons Wettbewerbsbeitrag „Jayne Mansfield’s Car”, der mit süffig sonniger Südstaaten-Stimmung das schicksalhafte Aufeinandertreffen einer amerikanischen und englischen Großfamilie in Alabama, 1969, ausbreitet. Zwar fühlte sich Thorntons wortlastiges Drama manchmal wie ein überambitioniertes Antikriegs-Theaterstück à la Tennessee Williams an, aber mit einem im Wald irrlichternden Robert Duvall im LSD-Rausch gelang ihm doch ein irres Festival-Highlight. 

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