Alles Frisch?

In diesem Jahr hätte Max frisch 100. Geburtstag. Vor zwanzig Jahren starb der große Literat der Schweiz. Warum es sioch lohnt, ihn weiterhin zu lesen.
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In diesem Jahr hätte Max frisch 100. Geburtstag. Vor zwanzig Jahren starb der große Literat der Schweiz. Warum es sioch lohnt, ihn weiterhin zu lesen.

Schreiben Sie auch, dass er ein Ekel war?“ So reagierte Joachim Unseld, Sohn des Suhrkamp-Verlegers Siegfried Unseld, auf die Ankündigung des Journalisten Volker Weidermann, eine Biografie über Max Frisch zu schreiben. Nun: Weidermann hat es nicht verschwiegen in „Max Frisch. Sein Leben, seine Bücher“. Anlässlich des 20. Todestags (am 4.4.) und des 100. Geburtstags (am 15.5.) schreibt er Frischs Geschichte auf – wertend in der Beurteilung seiner Werke, aber behutsamer als Unseld in der Beschreibung des Lebens.

Eine Mischung, die Frisch und dem Leser gerecht wird. Weidermann warnt den Frisch-Fan vor Frühwerken wie „Antwort aus der Stille“ („seht euch dieses Buch nicht an“). Die journalistischen Besinnungsaufsätze des jungen Frisch lassen einen noch in der Nacherzählung schaudern. Er schildert Frischs Auf- und Ausbruch aus seiner kleinbürgerlichen Schweizer Herkunft, in der ein Jugendfreund ihn mit Geldgeschenken beschämt, die sein Architektur-Studium aber erst ermöglichen. Ruhelos pendelte er hin und her zwischen Zürich, Paris, Rom, Berlin, New York, Berzona und mindestens ebenso vielen Frauen wie Orten.

Um es ungehörig, aber trotzdem in Frisch-Bildern zu sagen: Der Schriftsteller schwankt zwischen Meer und Marmelade. Dem Meer der Möglichkeit des Aufbruchs; der Möglichkeit, sich neu zu erfinden. Dem Gegenentwurf zum Schweizer Bergidyll, zum Hafen der Ehe. Das Meer, wie es sich in vielen seiner Werke, von „Santa Cruz“ über „Homo Faber“ bis zu „Montauk“ widerspiegelt. Und die Marmelade, die nur einen unrühmlichen Kurzauftritt zum Ende von „Bin oder die Reise nach Peking“ hat. Jenes Buch, das er 1945 „seiner Frau“ gewidmet hat und an dessen Schluss der Protagonist heimkehrt zu Frau, Kind und Frühstück mit „Marmelade wie im Märchen“.

Da steht für Frisch schon der Mus-Topf woanders – es folgt sein Aufbruch zum Literaten mit Weltrang, dessen Werke wie „Andorra“ Pflichtlektüre an deutschen Schulen werden. Und der Ausbruch aus dem bürgerlichen Leben: Seine Trennung von Ehefrau Constanze und den drei Kindern, seine fatale Beziehung zu Ingeborg Bachmann, seine zweite Ehe mit Marianne und seine „Montauk“-Liebe Alice „Lynn“ Carey. All das sind nicht nur private Stationen – sie sind Teil des Werks von Frisch.

In seinen Büchern, Dramen, Tagebüchern hat er Privates, ja gar Intimes öffentlich gemacht. Und das oft, ohne Rücksicht zu nehmen. Er konnte nicht anders – das war sein Programm von Anfang an. „Sie werden verwertet“, lässt er die Frau, die ihn zu seinem ersten Buch „Jürg Reinhart“ inspiriert hat, brieflich wissen. „Ausgeschlachtet“ fühlte sich Ingeborg Bachmann als sie sich in der Figur „Lila“ in „Mein Name sei Gantenbein“ wiedererkannte. Der Trennung von Frisch folgte ihr Zusammenbruch, Klinikaufenthalt, Selbstmordversuch – Frisch hingegen flog mit seiner neuen Liebe Marianne zur „Andorra“-Premiere in die USA. Von Tabletten- und Alkoholsucht gezeichnet, starb Bachmann 1973 nach einem Zimmerbrand in Rom. Marianne Frisch betrog er ein Jahr später bei einer Reise nach New York – und schilderte die Affäre plastisch in der Erzählung „Montauk“.

Geschickt bewegt er seine Ehefrau – wie Weidermann hervorragend schildert –, der Veröffentlichung zuzustimmen. „Marianne kann sich scheiden lassen; Literatur als Ehebruch“, schreibt er hierzu lapidar an Uwe Johnson. Drei Jahre später ist die Ehe auch zivilrechtlich am Ende – nach dem Scheidungstermin geht man noch „schön essen“, wie Frisch notiert.

Das alles, die Tatsache, dass Frisch anlässlich des eigenen 60. Geburtstags in New York seinen Verleger brüskiert und beschimpft und noch einiges mehr, mag das „Ekel“-Urteil von Unseld begründen. Literarisch gibt es zwei Kronzeugen zur Verteidigung von Max Frisch: Anatol Ludwig Stiller und Walter Faber. Der eine Bildhauer, sich seiner selbst nicht mehr gewiss, und die Hauptfigur aus „Stiller“. Der andere ein zu selbstgewisser Ingenieur und „Homo faber“. Zwei komplementäre Meisterwerke, für deren Wiederlesen es heuer mit Geburts- und Todestag von Max Frisch zwei weitere Anlässe gibt.

Volker Weidermann: Max Frisch: Sein Leben seine Bücher (Kiwi 22,95); Julian Schütt: Max Frisch: Biographie eines Aufstiegs (Suhrkamp 24,90 , erscheint März 2011)

Georg Thanscheidt

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