Alle Sinne von Lust bis Ekel
Heute beginnen die Münchner Opernfestspiele mit der Unicredit-Festspielnacht in den Fünf Höfen. Am Freitag folgt die Premiere von Olivier Messiaens Oper „Saint François d'Assise” im Nationaltheater, inszeniert von Hermann Nitsch, einem bedeutenden Vertreter des Wiener Aktionismus und Erfinder des umstrittenen ”Orgien-Mysterien-Theaters”.
AZ: Herr Nitsch, für viele Leute ist Ihr Name wie ein rotes Tuch. Verstehen Sie das?
HERMANN NITSCH: Wir Aktionisten wurden durch die Tiefenpsychologie geprägt und wollten tief in die menschlichen Verdrängungen hinuntersteigen. Die Psychoanalyse verwendet dafür das Medium der Sprache und des Dialogs. Ich lote in meinen Aktionen das Unbewusste durch sinnliches Erleben aus. Ich lasse die sozusagen die Sau heraus und mache sie bewusst. Das ist eigentlich eine sehr humane Aufgabe, die ich mir da gestellt habe.
Begonnen haben Sie aber als Maler.
Über das Happening wurden seit den 1960er Jahren viele Formen der Malerei ins Performative umgebogen. Im Unterschied zum Theater stellt in der Aktionskunst keiner eine Rolle dar. Hier ereignen sich reale Handlungen und nackte Geschehnisse.
Das führte oft zum Skandal.
Aktionskunst muss man sehen, riechen, schmecken, hören und tasten. Alle fünf Sinne sollen angesprochen werden. Es geht um eine totale Empfindung auch dessen, was ekelhaft ist. Ich bin durchaus stolz darauf, dass ich Skandale provoziert habe und wegen meiner Kunst dreimal im Gefängnis gesessen bin.
Praktizieren Sie das „Orgien-Mysterien-Theater noch?
2013 gibt es auf Schloss Prinzendorf bei Wien wieder ein großes Sechs-Tage-Spiel.
Mittlerweile hat das Regietheater viele Elemente der Aktionskunst aufgegriffen.
Die ursprüngliche Radikalität meines Orgien-Mysterientheaters wurde dadurch verwässert. Mit Fleisch, Gedärmen und Nackten werden heute auch in der Provinz die Klassiker verhunzt. Fernsehapparate, Akrobaten und Rollschuhfahrer mag ich auf der Bühne nicht. Meine Arbeit in der Staatsoper will Messiaen und seiner Musik dienen.
Was hat Ihre Inszenierung noch mit Aktionskunst zu tun?
Sie verhält sich wie ein Relief zur Plastik. Wenn ich eine Inszenierung mache, ist das mehr ein Ausflug, weil ich eigentlich mit dem Aufführen fremder Sachen nichts mehr zu tun haben will. Aber Messiaens Musik hat mich mein ganzes Leben begleitet. Die christlichen Symbole und das Kreuz, das ihn als tief gläubigen Menschen anzogen, interessieren mich künstlerisch unter dem Aspekt vergleichender Religionsgeschichte.
Wenn Bildende Künstler inszenieren, wird das meistens sehr statuarisch.
Hier passt das, weil Messiaens Oper einem Oratorium ähnelt. Trotzdem hat die Sache viel Dramatik. Wir projizieren Videos meine Aktionen auf den großen Rundhorizont. Franziskus wird immer aktionistisch wieder gedoubelt. Denn wenn ein Sänger Blut in den Mund gegossen bekommt, kann er nicht singen.
Franz von Assisi hat die Armut gepredigt. Ist es nicht pervers, seine Geschichte mit einer extrem aufwändigen Oper bei den Festspielen zu erzählen?
Wir selber sind ein Widerspruch. Schauen Sie mich an: Ich esse viel, obwohl es meiner Gesundheit nicht gut tut. Wir leben in Saus und Braus, und anderswo verhungern Kinder. Wenn sich unsere Gesellschaft eine Oper leistet, ist das im Vergleich eine ganz kleiner, hygienischer Luxus im Vergleich zu Blödheiten wie Golf, Wintersport oder Fernreisen.
Premiere am Freitag, den 1. Juli um 16 Uhr im Nationaltheater. Die Galerie Thomas Modern in Türkenstraße 16, zeigt vom 1. bis 6. 7. Werke des Künstlers aus den letzten 25 Jahren
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