Abgründe des Harmlosen

Mit seinen Studien der Wahrnehmung schwebt Wilhelm Sasnal zwischen Realismus, Pop und Abstraktion – im Haus der Kunst sind Gemälde und Filme des polnischen Künstlers zu sehen
Roberta De Righi |
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Der Horizont hängt hoch, das seichte Wasser im Vordergrund, in dem Äste und Steine als Schwemmgut auftauchen, ist von beunruhigendem Blau. Die beiden Gestalten, ein Kind und eine Frau („Untitled – Kacper und Anka”, 2009), erscheinen im Gegenlicht wie gebannt und verloren. Die Landschaft, die sie umgibt, ist von unheimlicher Schönheit. Wilhelm Sasnals einprägsames Bild ist jetzt im Haus der Kunst zu sehen, das eine Werkschau mit über 60 Gemälden und einer Auswahl seiner Filme seit 1999 zeigt.

Der 1972 im polnischen Tarnow geborene Künstler hat sich längst international einen Namen gemacht. Sasnal ist ein Maler nach dem viel beschworenen „Ende der Malerei”, changierend zwischen Realismus, Pop und Abstraktion. Seine konzeptionelle Kunst, die zumeist Fotografien als Vorlage hat, bietet private Impressionen wie „Kacper und Anka”, aber auch Reflexionen über die Gegenwart, unter der häufig die Schrecken der Vergangenheit aufblitzen. So setzt sich Sasnal in „Shoah – Wald” (2003) mit der NS-Geschichte Polens auseinander.

Immer wieder erkennt man den Abgrund hinter einer scheinbar harmlosen Oberfläche. Das nach einem Zeitungsfoto entstandene „Agathe Kanziga Habyarimana” zeigt eine Frau aus einer mächtigen Hutu-Familie, die am Völkermord an den Tutsi in Ruanda 1994 mitverantwortlich gemacht wurde. Sasnal interessierte sich für ihr Bildnis, weil sie, so der Künstler, „schön und gleichzeitig... soll man es ,böse’ nennen?” ist. Die Frage nach der Banalität des Bösen, die bei seinem Kollegen Luc Tuymans noch ein paar Grade beklemmender wirkt, wird gestellt, ohne dass der Maler eine Antwort parat hat.

In Sasnals jüngsten, 2011 entstandenen Bildern wird viel Aktualität heraufbeschworen: Ob das Tsunami-Opfer aus Japan oder der Körper des toten Gaddafi auf dem Boden ausgestreckt wie der vom Künstler selbst als Vergleich bemühte Mantegna-Christus und im Dauerbeschuss der Kameras – hier wabert der Zeitgeist bedeutungsschwanger über die Leinwand.

Aber hält die inhaltliche Ebene stand? Anders als etwa bei Gerhard Richters – wenn auch nur verschwommen sichtbaren – Abbild des Leichnams von Ulrike Meinhof, fällt der Blick bei Sasnals „Gaddafi” nicht auf einen gestorbenen Menschen, sondern auf einen leblosen Körper im Blitzlicht der internationalen Aufmerksamkeit. Das kann man als den Grad der Abstumpfung interpretieren, mit dem wir über 30 Jahre nach den Stammheim-Toten mit der medialen Allgegenwart des Todes umgehen.

So gesehen hält Sasnal nicht das Ereignis fest, sondern den Blick darauf. Seine Haltung ist wiederum das Fragezeichen. Ob das auf Dauer genügt, wird man sehen. Aber auch wenn der Erkenntnisgewinn dabei stark vom Bewusstseinszustand des Betrachters abhängt, so sind Sasnals Wahrnehmungs-Studien eine Beachtung wert.

Haus der Kunst, bis 13. Mai, Mo – So 10 bis 20, Do bis 22 Uhr, Katalog 25 Euro

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