Aber bitte mit Sardine

Boulevardsause im Lustspielhaus: Michael Frayns Klipp-Klapp-Komödie „Der nackte Wahnsinn” macht in der saftig überdrehten Inszenierung von Gabi Rothmüller einen Heidenspaß
Michael Stadler |
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Boulevardsause im Lustspielhaus: Michael Frayns Klipp-Klapp-Komödie „Der nackte Wahnsinn” macht in der saftig überdrehten Inszenierung
von Gabi Rothmüller einen Heidenspaß

Die Show muss weiter gehen, komme, was wolle. Im Grunde steckt in „Der nackte Wahnsinn”, der Farce des Briten Michael Frayn von 1982, eine Hymne auf die Durchhaltekraft der Schauspieler, auf die Theaterleidenschaft, in die sich nun mal andere Leidenschaften mischen. Die Liebe zum Kollegen und zum Regisseur, die Lust auf Sex und auf Whiskey mögen den Lauf der Bühnendinge stören, aber nicht den Willen, durchzuhalten, weiter zu spielen bis zum letzten Wort im Stück: „Sardinen!”

Das ist doch eigentlich ganz rührend – bei Frayn pocht das Schauspielerherz energisch auf der Suche nach dem richtigen Text und Takt. Nun gibt es auch für den Zuschauer im Lustspielhaus bei aller Schadenfreude Grund zum Mitfiebern hoch zwei: einerseits mit den engagierten, wenn auch nicht unbedingt talentierten Darstellern in Frayns Stück. Sie üben eine Schenkelklopfer-Komödie für eine Tournee durch die englische Provinz ein und puschen sich mit ihren Spleens von der Generalprobe über die Premiere bis zur letzten Aufführung an den Rand des Verstands.

Andererseits drückt man dem bunten Ensemble um Regisseurin Gabi Rothmüller und Mit-Initiator Alexander Liegl die Daumen. Denn eine leicht zu knackende Nuss ist Frayns Spiel im Spiel nicht unbedingt. Die Chaos-Choreographie muss perfekt stehen, das Timing sitzen. Mit offenbarer Wonne unterwirft sich Rothmüllers Team den Gesetzen der Klipp-Klapp-Komödie – Tür auf, Tür zu, Scheich-Kopftuch auf, Hose runter, immer zum richtig falschen Zeitpunkt – und sie gewinnen auf ganzer schräger Linie.

Wunderbar, wie Michael Altinger als Garry nicht nur Sätze ins Leere laufen, sondern auch den Boden unter seinen Füßen wegflutschen lässt. Oder wie entschlossen fröhlich Constanze Lindner als Belinda ihre Rolle deklamiert, während Sonja Kling als Dotty sich schnoddrig und mit perfekter Augenmotorik um Sardinen und Seitenhiebe kümmert. Und wie schön überheblich Thomas Wenke den Regisseur gibt, umgeben von fleißigen Helfern, gespielt von Gabi Rothmüller selbst und Ferdinand Schmidt-Modrow.

Letzterer muss in der Rolle des Bühneninspizienten immer dann einspringen, wenn einer der Schauspieler seinen Einsatz verpasst. Größter Risikofaktor ist dabei der trinkfreudige Selsdon, von Norbert Heckner bommelbemützt mit Spaß an der unerträglichen Leichtigkeit des Schwer-von-Begriff-Seins gespielt.

Das Tohuwabohu hinter den Kulissen enthüllt sich stücktreu nach einer 180-Grad-Wendung des Boulevard-Interieurs im zweiten und besten Akt. Da wird zwischen den backstage streitenden Darstellern auch mal still eine Axt herumgereicht. Aber niemand kommt zum Zuschlagen. Der Schwank muss weiter gehen, auch wenn Frederick (Alexander Liegl) Nasenbluten bekommt oder Brooke eine Kontaktlinse verliert.

Eva-Maria Reichert ist als tief dekolletierter Blickfang ein konzentrierter Kontrapunkt des lautlosen Witzes im Turbo-Treiben. Wird nicht gespielt, memoriert Brooke leise ihre Zeilen und vergisst dabei ihr Umfeld. Was für ein Profi! Und was für eine knallkomische Boulevardsause im Lustspielhaus.

Lustspielhaus, Di bis Sa, bis 11. Februar, Karten Tel. 34 49 74

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