300 Euro für die Russendisko
Ein guter Rat für den künftigen Salzburger Festspielintendanten Alexander Pereira: Karlheinz Stockhausens „Indianerlieder” ins Programm nehmen, mit Anna Netrebko besetzen und die Kartenpreise kräftig erhöhen. Damit kommt Geld in die Kasse, das Feuilleton kann auch nicht meckern und die Netrebko kriegt das vermutlich sogar ganz gut hin. Dem Publikum ist ja eh wurscht, was läuft. Hauptsache, die Nachtigall aus Krasnodar singt und trägt dazu ein hübsches Kleid.
Im Großen Festspielhaus erlebte man sie nun in einer konzertanten Aufführung von Peter Tschaikowskys Einakter „Iolanta". Eine echte Repertoire-Erweiterung war es für Anna Netrebko freilich nicht, unter anderem in Baden-Baden konnte man sie schon in der Partie der blinden Zauberin erleben. Dort gab es allerdings erstens eine Inszenierung und zweitens deutlich günstigere Preise. Das teuerste Ticket in Salzburg kostete schlappe 300 Euro (Schwarzmarktzuschläge nicht eingerechnet), immerhin hatte man dafür dann freie Dekolleté-Sicht. Zu bestaunen war ein edles helles Kleid mit unzähligen Glitzersteinchen. Die üppige Schleppe ersparte den Festspielen vermutlich zumindest eine Putzkraft, da La Anna eifrig auf und jenseits der Bühne herumstreunte. Gesungen hat sie auch, und zwar auswendig – schließlich ist die Zauberin ja blind…
Zu den Qualitäten von Tschaikowskys letztem Musiktheater zählen eine prägnante Dramaturgie, effektvoll gestaltete Soli und Ensembles sowie der Verzicht auf einen allzu argen Schmerzenston. Erzählt wird von der besagten Blinden, die letztlich aus eigenem Willen (und um ihrem Geliebten das Leben zu retten) sehend wird. Obschon mit einer gehörigen Prise Metaphysik (Licht als Gottessymbol) hochgerüstet, wird „Iolanta” dennoch nie kitschig oder zu pathetisch. Stimmlich ist die Netrebko für Tschaikowskys zaubrisch dunkle Melismen eine Idealbesetzung, warmer Sehnsuchtsgesang entströmt ihrer Kehle. Jede noch so feine Schattierung, jedes Ornament glüht und erblüht. Und mit Piotr Beczala, Evgeny Nikitin oder dem exzellenten Newcomer Antoni Poli ist das Ganze überdies sehr luxuriös besetzt.
Die bei Tschaikowsky nur am Rande auftauchende Nachtigall wurde vor der Pause in Igor Strawinskys „Le Rossignol” zur Hauptsache. Julia Novikova singt das einen sterbensmatten Kaiser (würdevoll: Andrei Bondarenko) neu beflügelnde Vögelchen hinreißend. Strawinskys knapp einstündige Märchenoper ist eine feine Chinoiserie, wie kunstvolles Porzellan klingt alles – luftig, duftend, gelegentlich auch mal gleißend hell auftrumpfend. Lockerheit und Ernst liegen nah beieinander: Die Nachtigall erhält scharfe Konkurrenz durch eine mechanische Kollegin, aus Frust verlässt sie ihren Dienstherrn, der bald darauf schwer erkrankt. Gevatter Tod ist schon zugegen, da hört er das zurückgekehrte Vögelchen und vergisst seine eigentliche Aufgabe. Am Ende sind alle glücklich und der Kaiser hat allnächtlich eine nicht nur vokal adrette Bettgenossin.
Das Salzburger Mozarteumorchester unter Ivor Bolton überzeugt vor allem bei Strawinsky. Den Tschaikowsky könnte man sich etwas schroffer und kräftiger musiziert vorstellen. Sehr gut tönt die von Jörn H. Andresen einstudierte Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor. Das Publikum applaudierte, jubilierte und tirilierte mit einem gewaltigen Crescendo – eine Prise Russendisko im Großen Festspielhaus.
Noch einmal am 20. August, 20.30 Uhr (ausverkauft). Infos unter www.salzburgfestival.at
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