25. Spielzeit des Metropoltheaters: "Das achte Leben"

Intendant Jochen Schölch inszeniert das Stück von Nino Haratischwili
Anne Fritsch |
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Lilly Forgách und Gerd Lohmeyer in "Das achte Leben (für Brilka") nach Nino Haratischwili im Metropoltheater.
Marie-Laure Briane Lilly Forgách und Gerd Lohmeyer in "Das achte Leben (für Brilka") nach Nino Haratischwili im Metropoltheater.

Auf 1280 Seiten erzählt die georgisch-deutsche Autorin in ihrem Roman "Das achte Leben (Für Brilka)" einen Familienepos über fünf beziehungsweise sechs Generationen. Nino Haratischwili beginnt in Georgien vor dem Ersten Weltkrieg und endet im Deutschland nach der Jahrtausendwende. Es sind vor allem die Frauen, die im Zentrum stehen (und alle unglaublich schnell und bei der ersten Gelegenheit schwanger werden). Die Männer dagegen sind nach der Zeugung ihrer Nachkommen meist recht schnell abwesend oder tot. Man könnte sehr verkürzt auch sagen: Dieses Buch ist eine lange Abfolge von schwangeren Frauen und enttäuschenden Männern.

Diesen Roman hat sich nun Jochen Schölch am Metropoltheater vorgenommen, ein angemessen wuchtiger Stoff zum Start in die 25. Spielzeit dieses Privattheaters, das aus der Stadt nicht mehr wegzudenken ist.

Schölchs Theaterfassung umfasst 124 Seiten, also gerade mal zehn Prozent des Ausgangsmaterials, das er klug verdichtet hat. In knapp vier Stunden fächert er diese Geschichte auf, die immer auch eine des politischen Wandels ist. Die Staatsoberhäupter der Sowjetunion erscheinen als Portraits im Hintergrund, projiziert auf die Backsteinwand, eine unüberwindbare Mauer Richtung Westen. Diese Männer und ihre Entscheidungen überschatten alles. Lenin, Stalin, Chruschtschow… Die Reihe setzt sich fort bis zum jungen Putin, der am Ende die Macht übernimmt. Ob die beiden Weltkriege, der Prager Frühling, der Fall der Mauer oder Tschernobyl: Die Geschichte spielt immer rein ins Private, bestimmt es, prägt es, zerstört es.

An den Seiten des im Grunde leeren Raums hat Bühnenbildner Thomas Flach jede Menge Schneiderpuppen aufgestellt, die die Kleider der Toten tragen. Im Laufe des Abends werden es immer mehr. Die Lebenden bewegen sich zwischen ihnen, sind Teil eines großen Zusammenhangs; geprägt von der Vergangenheit, die immer Teil der Gegenwart bleibt. Traumata werden ebenso weitergegeben wie Erinnerungen, kaum einer ist hier eines natürlichen Todes gestorben, die meisten sind Opfer des Systems. Andere auch Täter.

Wie immer vertraut Schölch dem Spiel seines starken Ensembles, braucht kaum Requisiten für all die so typischen blitzschnellen Rollen- und Szenenwechsel. Der große erzählerische Bogen, all die kleinen Theaterzaubereien, die Gleichzeitigkeit von Schwerem und Leichtem, der Mut auch zum Gefühl - wenn man so will, ist dieser Abend so etwas wie eine Essenz aus einem Vierteljahrhundert Metropoltheater. Großartig, wie auch im Ensemble die Generationen aufeinandertreffen, wie der alte Gerd Lohmeyer (in der Rolle der Urgroßmutter Stasia) der jungen Eli Wasserscheid (die die Niza spielt) von der berühmten heißen Schokolade erzählt, die den Grundstein für die Familien-Manufaktur und im Grunde auch für die Familie selbst bildete. Ob Maja Amme, Michele Cuciuffo, Lilly Forgách, Victoria Mayer, Patrick Nellessen, Sophie Rogall oder Anuschka Tochtermann: Es fällt schwer, hier einzelne herauszugreifen. Dieser Abend ist ein Ensemblespiel, in dem alle sich aufeinander verlassen und an einander wachsen können.

Eines wird schmerzlich deutlich: Geschichte ist nichts Abstraktes. Sie besteht aus Menschen. Aus Menschen, die sie schreiben, und Menschen, die unter ihr leiden. Das gilt für die Vergangenheit ebenso wie für die Gewaltexzesse dieser Tage. "Ich verdanke diese Worte einem Jahrhundert, das alle betrogen und hintergangen hat, alle die, die hofften", sagt Niza, die diese Familiengeschichte aufschreibt, am Ende. Roman wie Theaterabend sind eine Erinnerung an das, was war. Wider das Vergessen. Und hoffentlich wider die Wiederholung.

Floriansmühlstraße 5 (nahe U-Bahn Freimann), Wieder am 14., 15., 21., 22., 25., 27. und 29. Oktober. Karten unter 32 19 55 33 und über Münchenticket

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