100 Jahre Neue Sammlung München: Lauter Lebensgefühle
Natürlich gibt es diese aufgedonnerten Kommoden, mit denen man früher den Besuch beeindrucken konnte. Praktisch wurde es, wenn für den Begrüßungs-Martini gleich eine Minibar integriert war. Und luxuriös, wenn man Fernseher, Radio und Plattenspieler eben mal rausziehen konnte, wie beim „Kuba Komet 1223 SL“ aus den späten 1950er Jahren. Doch dieses Monster von einem Möbel ruft im Gegensatz zu einer relativ kleinen Geflügelschere kaum Gefühle hervor.
Das stabile Schnippelgerät, mit dem die Mutter früher das Sonntagshuhn nahezu elegant zerlegt hat, verbreitet sofort Brathendlduft. In Gedanken. Und die gebogenen Scherenblätter erinnern an den Schnabel eines Kakadus. Aber das ist das Schöne an der Neuen Sammlung: Vieles verbindet man mit einem Lebensstil, und der geht fast immer mit Erinnerungen und Emotionen einher.
Als es in München fad wurde, sammelte der Direktor modern
Auf den heutigen Tag genau vor 100 Jahren wurde diese Sammlung gegründet - und damit war sie auch gleich Deutschlands erstes staatliches Designmuseum. Seinerzeit freilich noch angegliedert ans Bayerische Nationalmuseum, aber mit einem eigenen unabhängigen Direktor. Das war insofern entscheidend, als Günther Freiherr von Pechmann frei schalten und walten und somit vor allem kaufen konnte, was er für sammlungswürdig hielt.
Gunta Stölzls Bauhaus-Teppich ist ein Höhepunkt
Andernfalls hätte das Bauhaus erst sehr viel später eine Rolle gespielt. Nach der Aufbruchsphase um 1900, dem Farbknall des „Blauen Reiters“ und all den Reformen im Umfeld des Deutschen Werkbunds ging im Freistaat der 1920er Jahre der Blick zurück. Pechmann hat das nicht davon abgehalten, direkt in Weimar und Dessau einzukaufen. Deshalb gibt es in München frühe Bauhaus-Ware wie den Wandteppich von Gunta Stölzl, der in der Jubiläumsschau „100 Jahre, 100 Objekte“ einen besonderen Platz einnimmt.
Der Rundgang, der sich anbietet, ist tatsächlich gewagt, einiges würde man so nie nebeneinanderstellen. Aber ständig allzu Bekanntes und sogenannte Design-Ikonen zu präsentieren, nimmt die Chance, nie Gezeigtes aus den Depots zu zaubern und somit auch zu überraschen. Selbstredend war über die Jahrzehnte immer nur ein Bruchteil der Sammlung zu sehen, das ist in der üblichen Fülle der Münchner Häuser ganz normal. Jetzt aber tut sich ein erstaunliches Spektrum auf, denn für jedes Jahr wurde ein Objekt ausgewählt.
Auch ein Inuit-Hocker aus Knochen und Fell gehört zur Sammlung
Das kann ein Inuit-Hocker aus Knochen und Fell sein, der um 1900 in Nord-Grönland gefertigt wurde. Man sieht aber auch Hightech wie etwa ein Vermessungsgerät aus dem Jahr 2017, das einen Raum „abtasten“ und die exakten Maße ausspucken könnte. Rasant wird es mit einem windschnittigen Rennrollstuhl von BMW - erprobt bei den Paralympics - oder einer lindgrünen Vespa, die gleich nach dem Krieg gebaut wurde und bis heute für ein italophiles, Prosecco-spritziges Lebensgefühl steht.
Karrierestart mit einem abgefackelten Regal
Genauso gibt es das kunstvoll abgefackelte Regal „Where There’s Smoke“, mit dem Maarten Baas 2002 die Design Academy in Eindhoven abgeschlossen hat, um eine Weltkarriere zu starten. Rolf Sachs, selbst Designer, hatte sich das verkokelte Möbel zwar als Unikat gesichert, doch für die Neue Sammlung gewährte der erklärte Stuhl-Fetischist eine Kopie.
Paris-Atmosphäre dank einer Metro-Station
Was auffällt: Bereits in den Anfangsjahren wurde international eingekauft. Das betrifft gleich eine Sonnenuhr, die 1925 aus dem schwedischen Nävekvarn ans Haus kam. Vieles stammt aus Nachbarländern, darunter sogar Großanlagen wie eine Pariser Metrostation, deren Entrée Hector Guimard gestaltet hat. Im Parcours der 100 Exponate kommen lediglich das Schild und drei der typisch grünen gusseisernen Gitter unter. Aber die genügen schon, um Paris-Atmosphäre heraufzubeschwören.
Man bleibt sowieso dauernd hängen - und hat am Ende doch nur einen winzigen Teil gesehen. Das Münchner Designmuseum hegt an die 120.000 Objekte aus immerhin 20 Sammlungsgebieten. Damit liegt es weltweit vorn, auch in puncto Qualität.
„100 Jahre, 100 Objekte“ in der Pinakothek der Moderne München, Eröffnung am 21. Mai 2025 um 19 Uhr, dann Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18, Donnerstag bis 20 Uhr
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