WM 2018: Kevin Kuranyi über WM-Favoriten und Julian Draxler
Der 36 Jahre alte Kevin Kuranyi spielte von 2010 bis 2015 bei Dynamo Moskau, von 2003 bis 2008 war er deutscher Nationalstürmer und brachte es auf 52 Einsätze (19 Tore).
AZ: Herr Kuranyi, Sie haben es bei der WM ja gar nicht so leicht, weil Sie mit einigen qualifizierten Ländern in Verbindung stehen: Panama, Brasilien, Deutschland, Russland. Für wen schlägt Ihr Herz?
KEVIN KURANYI: Es ist diesmal wirklich nicht leicht für mich. Meine Mutter kommt aus Panama, mein Vater ist Deutscher. Ich bin in Brasilien geboren und habe fünf Jahre in Russland bei Dynamo Moskau gespielt. Ziemlich schwierig (lacht). Klar ist: Ich habe mich riesig für Panama gefreut, dass es das Land endlich zu einer WM geschafft hat, zum ersten Mal überhaupt. Ich kenne noch die halbe Mannschaft und bin sehr stolz auf Panama. Das große Ziel ist es, die Vorrunde zu überstehen, aber das wird schwer. Genauso auch für das russische Team. Bei Brasilien und Deutschland ist die Situation anders: Beide Teams gehören zu den besten bei der WM.
Sie begleiten das Turnier als Experte der ARD vor Ort. Wie viel Freude bereitet Ihnen diese Tätigkeit?
Ich habe mit der ARD schon beim Confed Cup vergangenes Jahr zusammengearbeitet. Ich freue mich sehr auf die Aufgabe und möchte meine Fußballkompetenz sowie meine Erfahrungen aus Russland einbringen. Ich habe noch viele Freunde in Russland und freue mich darauf, sie wiederzusehen.
Sie haben von 2010 bis 2015 in Moskau gespielt. Wie groß war die Umstellung nach Ihrer Zeit in Deutschland?
Man wird auf jeden Fall geduldiger, wenn man in Russland lebt.
Kevin Kuranyi über Leben in Russland: "Man wird geduldiger"
Geduldiger?
Ja. Wenn man jeden Tag zwei bis drei Stunden zum Training braucht für eine Strecke, die sonst in einer halben Stunde zu schaffen wäre, wird man zwangsläufig geduldiger. Das habe ich in Russland gelernt.
Wie sind Ihnen die russischen Menschen begegnet?
Am Anfang sind die Russen schon ein bisschen zurückhaltend. Aber wenn man sie besser kennt, sind sie sehr herzlich und liebenswert, das sind zumindest meine Erfahrungen aus den fünf Jahren in Moskau. Ich bin mir sicher, dass sich Russland bei der WM von seiner besten Seite zeigen wird. Das ist eine große Chance für das Land, sein Ansehen und die Kommunikation mit anderen Staaten zu verbessern.
Haben Sie Präsident Wladimir Putin eigentlich persönlich kennengelernt?
Persönlich nicht, aber meine Kollegen bei Moskau haben sich sehr positiv über ihn geäußert. Ich will das aber nicht werten. Man sollte Sport und Politik generell nicht zu sehr vermischen. Russland kann und wird die WM nutzen, um für sich zu werben. Aber was noch viel schöner wäre: Wenn sich die russische Bevölkerung und die Besucher anderer Nationen näherkommen würden.
Kommen wir zum Sportlichen: Wer sind Ihre WM-Favoriten?
Deutschland und Brasilien sind zuerst zu nennen, aber auch Spanien oder Frankreich haben Chancen. Ein Finale Deutschland gegen Brasilien – das wäre mein Wunsch. Ich denke, dass Deutschland am Ende Weltmeister wird.
Was macht die deutsche Mannschaft denn so stark?
Deutschland hat eine geschlossene Mannschaft, ein echtes Team. Das ist der Vorteil gegenüber anderen WM-Teilnehmern. Joachim Löw hat seine Mannschaft über Jahre geformt und aufgebaut. Er leistet eine super Arbeit. Deutschland ist Weltmeister geworden und hat mit einer jungen Mannschaft den Confed Cup geholt. Das zeigt die Entwicklung. Der WM-Sieg geht nur über Deutschland.
Kevin Kuranyi über WM 2018: "Draxler kann der Star der WM werden"
Könnte ein deutscher Spieler der Star der WM werden?
Es sind viele gute Spieler nachgekommen in den vergangenen Jahren: etwa Timo Werner oder Julian Draxler. Der hat das junge Team 2017 beim Confed Cup zum Sieg geführt. Draxler kann der Star der WM werden.
Ihre Karriere in der Nationalelf endete 2008, als Sie während des WM-Qualifikationsspiels gegen Russland das Stadion verließen. Joachim Löw hatte Sie nicht für den Kader berufen. Wie denken Sie heute darüber?
Joachim Löw und ich haben uns schon vor längerer Zeit ausgesprochen. Es war damals ein Fehler von mir, das Stadion zu verlassen. Das ist ganz klar. Aber es bleibt nichts hängen. Ich habe eine sehr hohe Meinung von Löw. Er hat immer ein tolles Training gemacht, ich schätze ihn als absoluten Fachmann. Fehler passieren im Leben, ich habe damals einen großen Fehler gemacht.
Können Sie sich selbst vorstellen, Trainer zu werden?
Es gab diese Überlegung mal, aber das wäre nicht fair gegenüber meiner Familie. Ich war schon während meiner Karriere ständig unterwegs. Jetzt will ich mehr Zeit mit der Familie und Freunden verbringen.
Wären Sie eigentlich noch fit genug, um eine WM zu spielen?
Nein, das wäre nicht mehr möglich. Es reicht nur noch für die Traditionsmannschaft (lacht). Unmittelbar nach der Karriere ist es schon so, dass man sich ein bisschen langweilt. Aber jetzt habe ich längst neue Aufgaben, ich bin ab und zu als Experte im Einsatz wie jetzt bei der WM für die ARD. Aber in erster Linie bin ich Spielerberater. Da sehe ich mich auch in Zukunft: Ich will meine Erfahrung an junge Spieler weitergeben und ihnen als Spielerberater helfen.
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