Mehr Entspannung im Saal!

Die Pianistin Alice Sara Ott über ihre neue CD mit französischer Musik und ihr Unbehagen am üblichen Konzertritual
Robert Braunmüller |
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Die Pianistin Alice Sara Ott umgibt sich nicht nur mit zarten Papierblumen, sie packt bei schwieriger Klaviermusik von Maurice Ravel oder Franz Liszt gegebenenfalls auch ganz schön zu.
DG/Jonas Becker Die Pianistin Alice Sara Ott umgibt sich nicht nur mit zarten Papierblumen, sie packt bei schwieriger Klaviermusik von Maurice Ravel oder Franz Liszt gegebenenfalls auch ganz schön zu.

Eine Zeitlang lebte die gebürtige Münchnerin in Berlin. Nun ist Alice Sara Ott wieder in ihre Heimatstadt gezogen. Soeben erschien ihre neue CD mit dem Titel „Nightfall“. Klaviermusik von Claude Debussy, Erik Satie und Maurice Ravel, auf der die Pianistin das Spannungsfeld von Licht und Dunkelheit in der Musik auslotet. Ein Gespräch über München, französische Klaviermusik und das Husten in den Konzerten.

AZ: Frau Ott, kann man es als Münchnerin wirklich in Berlin aushalten?
ALICE SARA OTT: In Berlin lebt es sich schon etwas billiger. Ich finde es auch praktisch, wenn Restaurants und Läden länger offen haben. Als Musiker ist man eher ein Nachtmensch. In München gibt es kaum einen Supermarkt, in dem man nach acht Uhr abends einkaufen kann.

Um die Nacht kreist auch ihre neue CD.
Ich wollte sie ursprünglich „Paris“ nennen, als Hommage an die Künstler und die Zeit der Jahrhundertwende. Beim Zusammenstellen der Stücke fiel mir die gemeinsame Stimmung auf. Ich kam dann auf den Titel „Twilight“ – das Zwielicht an der Grenze von Tag und Nacht. Leider denkt da jeder an diese Vampirfilme, und das wollte ich auf keinen Fall. Dann habe ich mich für „Nightfall“ entschieden, weil das Programm der CD Licht und Dunkel mit Momenten der menschlichen Psyche verbindet, die sich nicht klar als gut und böse einteilen lassen – etwa in Ravels „Gaspard de la nuit“.

Davor kommt noch Musik von Erik Satie. Die spielen normalerweise nur Spezialisten.
Das dachte ich anfangs auch. Satie ist im Vergleich zu Ravel oder Debussy extrem schlicht und minimalistisch. Die teilweise merkwürdigen Anweisungen wie „Öffnen Sie den Kopf“, „Begraben Sie den Ton“ oder „Formen Sie etwas Hohles“ erinnern an die mysteriös vieldeutigen Liedtexte von Pink Floyd. Anderseits hat Satie seine Musik als eine Art Möblierung verstanden, die nie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen sollte. Das geht mit diesen anspruchsvollen Anweisungen nur schwer zusammengeht. Es ist jedenfalls eine sehr zwiespältige Musik.

„Scarbo“, der letzte Teil von Ravels „Gaspard de la nuit“ gilt als extrem schwierig. Was ist das Schwierige daran?
Ravel hatte den unnötigen Ehrgeiz, Mili Balakirevs „Islamej“ als schwierigstes Stück der Klavierliteratur überbieten zu wollen. Der ganze Zyklus ist pianistisch nicht einfach. Dazu kommt die emotionale Seite. „Ondine“ beschäftigt sich für mich mit der Angst vor der Zurückweisung, „Le gibet“ erinnert mich an die Geräusche in der kardiologischen Abteilung eines Krankenhauses und handelt von der Endlichkeit des Lebens. „Scarbo“, der Kobold, der Künstler befällt, beschäftigt sich für mich mit dem Druck und der Versagensangst. Lauter Gefühle, mit denen man sich als Künstler täglich auseinandersetzen muss.

Sie schreiben im Booklet, dass außerdem auch noch Ihr Vater während der Zeit wegen eines Herzinfarkts im Krankenhaus lag.
Ich kann seitdem „Le gibet“ nicht mehr hören, ohne mich damit auseinanderzusetzen, unabhängig von der pianistischen Schwierigkeit. Es ist für mich eine Musik über die Schwelle zwischen Leben und Tod. Im Nachhinein habe ich herausgefunden, dass Ravels Vater zum Zeitpunkt der Komposition ebenfalls einen Herzinfarkt erlitten hat.

Sie spielen das Programm auch live. Früher hat man das umgekehrt gemacht – erst die Tournee, dann die Aufnahme.
Stimmt. Aber früher hat man durch Platten auch mehr verdient als mit Konzerten. Für mich sind Alben Momentaufnahmen. Ich persönlich höre mir meine Aufnahmen hinterher nicht mehr an, weil ich es nicht mag, in die Vergangenheit zu schauen und weil sich das Stück in mir auch weiter verändert.

Warum spielen Sie in Konzerten eigentlich barfuß?
Ich habe vor Jahren mal in der Nähe von Erfurt auf einem alten Flügel von Franz Liszt gespielt. Damals habe ich noch High Heels getragen. Bei der Probe kam ich mit den Knien nicht unter die sehr niedrige Tastatur. Dann habe ich die Schuhe ausgezogen. Das fühlte sich gut an, und ich bin ohnehin das Barfußlaufen zu Hause durch meine japanische Mutter gewöhnt.

Es trägt auch beim Zuhörer zu einer gewissen Lockerung bei, wenn jemand barfuss spielt.
Regeln und ein Dresscode gehören für mich nicht in einen Konzertsaal. Musik sollte für jeden da sein – mit einem offenen Zugang, ohne dass man vorher belehrt wird, wie man das Konzert zu genießen hat.

Stört es Sie, wenn zwischen den Sätzen geklatscht wird?
Nein. In der Oper gibt es doch auch Beifall nach den Arien. Das ist eine natürliche Reaktion. Wenn ein Künstler findet, dass der Applaus die Dramaturgie stört, soll er das selber den Zuhörern vermitteln.

Einige Ihrer Kollegen reagieren allerdings sogar auf Huster allergisch.
Das Husten kommt doch nur, weil die Leute nicht entspannt sind und ständig daran denken müssen, was sie im Saal alles nicht dürfen. Zwischen den Sätzen wird dann auf Vorrat gehustet.

Wie könnte das Konzertritual verändert werden?
Ich denke, dass die Beleuchtung eine große Rolle spielt. Bei meiner letzten Tour habe ich in der zweiten Hälfte bei der h-moll-Sonate von Liszt nur die Tastatur beleuchten lassen, weil ich meine, dass ich in diesem Stück die minder bedeutende Rolle spiele. Es gab viel weniger Huster, und es wurde auch nicht aufs Handy geschaut. Ich habe außerdem gelernt, das Publikum nie zu unterschätzen. Ich dachte, dass im Berliner Techno-Club Berghain vor allem schnelle Stücke und einzelne Sätze ankommen. Hinterher haben mir Leute gesagt, die noch nie in einem Konzert waren, dass sie lieber die ganze Beethoven-Sonate gehört hätten.

Wie würde für Sie das ideale Konzert aussehen?
Ohne Abstand zwischen mir und dem Publikum. Ich mag es, wenn die Leute um das Klavier herum sitzen. Ich habe auch nichts dagegen, wenn etwas getrunken wird. Klingelnde Gläser stören mich viel weniger wie gezwungene Huster.

Alice Sara Ott: „Nightfall“, Werke von Ravel, Debussy und Satie, Deutsche Grammophon.
Am 15. Januar spielt die Pianistin das Programm der CD leicht verändert im Prinzregententheater, am 20. Januar interpretiert sie mit den Göteborger Symphonikern das Konzert Nr. 1 von Franz Liszt im Gasteig. Karten für beide Termine unter Telefon 93 60 93

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