Nazi-Pädagogin im Heldenmäntelchen

Eine neue Biografie zerstört den Mythos der Autorin Luise Rinser, die sich als Widerständlerin ausgab
Petra Müllerjans |
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Die Schriftstellerin Luise Rinser (1911-2002) galt vielen Deutschen jahrzehntelang als Vorbild und als Verkörperung desWiderstandes gegen den Nationalsozialismus. Als bekannt wurde, dass sie bewundernde Gedichte für Adolf Hitler geschrieben hat, bekam dieses Bild der „deutschen Jeanne d'Arc“ erste Risse. Die neue Biografie „Luise Rinser – Ein Leben in Widersprüchen“, die rechtzeitig zum 100. Geburtstag Rinsers am 30. April auf den Markt gekommen ist, bringt den Mythos Rinser nun endgültig ins Wanken.Denn die Autorin war wohl stark in den Nationalsozialismus verstrickt. „Sie hat gelogen“, sagt ihr enger Freund und Biograf José Sánchez de Murillo.

AZ: Herr Sánchez de Murillo, Sie waren eng mit Luise Rinser befreundet. Nach der Arbeit an ihrer Biografie kennen Sie sie wahrscheinlich sogar noch besser.

José Sánchez de Murillo: Ja, jetzt kenne ich sie sehr gut. Ich bin froh, dass ich sie früher nicht so gekannt habe. Wissen führt nicht immer zur Liebe – es kann sogar das Gegenteil bewirken. Unser
Verhältnis war immer sehr frei und sehr unbeschwert. Wir konnten über alles sprechen: Literatur, Philosophie, Naturwissenschaft, Politik, Religion. Ich habe sie als eine ausgezeichnete Zuhörerin erlebt. Bei ihr fühlte ich mich zu Hause.“

Wünschen Sie sich rückblickend, das Buch nicht geschrieben zu haben?

Nein. Wer weiß, wie ein anderer damit umgegangen wäre. Sie ist so oft – nicht zuletzt aus Neid wegen ihrer Ausstrahlung und ihrer literarischen Erfolge – erniedrigt und beleidigt worden. Ich habe in meinem Buch zwar die historische Wahrheit schonungslos aufgedeckt, aber sie immer respektvoll gesagt. Die Liebe zu ihr ist ja noch da – aber noch stärker ist die Liebe zur Wahrheit, die Rücksichtnahme auf die Opfer des schrecklichen Krieges, die Achtung vor der deutschen und europäischen Geschichte, vor der Würde des Menschen überhaupt. Da musste ich Verantwortung übernehmen. Der Wissenschaftler hat die Pflicht, die Wahrheit zu sagen und die Verfehlungen offenzulegen.

Was Sie über Luise Rinsers Rolle während der NS-Herrschaft herausgefunden haben, ist nicht schön...

Nein! Es gibt unbestreitbare Tatsachen, über die man sich empören muss. Ihre Hitler verehrenden Gedichte sind ja schon früher bekanntgeworden. Aber das ist nur ein Bruchteil. Die Biografie deckt darüber hinaus Unbekanntes oder kaum Beachtetes auf. Als Junglehrerin hat sie ihren eigenen Schuldirektor, einen Juden, denunziert. Dadurch konnte sie sich profilieren und machte Karriere im Nazi-Staat. Sie wurde Ausbilderin beim Bund Deutscher Mädel, sie hat also Hitler-Jugend-Gruppenführerinnen ausgebildet. In der Biografie wird sie darum schweren Herzens, aber wahrheitsgemäß Nazi-Pädagogin genannt. Sie hat für die UFA gearbeitet, ein Drehbuch geschrieben. Das alles ist natürlich nicht schön. Und ich denke an die vielen Menschen, die sie verehrt haben und nun enttäuscht werden.

Luise Rinser hat ja an ihrem eigenen Mythos auch stark mitgearbeitet...

Und da muss man sich fragen: Warum? Der Grund ist, dass sie in die Rolle der Nationalheldin hineingezwungen wurde - gleich nach dem Krieg. Die Deutschen und wir alle haben sie gezwungen, das Vorbild, das sie nicht war, zu spielen. Und dann schlugen die Grünen sie auch noch als Bundespräsidentin vor – wie sollte sie da zugeben, dass sie nicht diejenige war, für die alle sie gehalten haben? Deutschland brauchte den Mythos Luise Rinser, um nach der schlimmen Zeit vor sich selbst bestehen zu können. Es ist ungerecht, wenn sie nun dafür verprügelt wird. Sie war in der Nazi-Zeit verwickelter als man bisher angenommen hat. Faktisch gesehen hat sie gelogen, uns alle angelogen. Aber das deutsche Volk hat diesen Mythos gebraucht. Das zwingt uns – Philosophen, Politiker, Schriftsteller und Wissenschaftler -, endlich das Nazi-Problem richtigzustellen, um das Trauma verarbeiten zu können. Gerade wegen ihrer Widersprüche ist der Fall Rinser wie prädestiniert, um dieses unrühmliche Kapitel der deutschen Geschichte neu zu interpretieren.“

Glauben Sie, Luise Rinser hat bewusst getäuscht?

Ja, am Anfang gewiss. Ihre oft zornigen Reaktionen, als Journalisten sie angriffen und als "Nazi-Poetin" beschimpften, zeigten, dass sie Angst hatte, entlarvt zu werden. Im Laufe der Zeit wurde es für sie immer schwieriger – um nicht zu sagen unmöglich – die Wahrheit zu gestehen. Dann hat sie vieles verdrängt, am Ende vermutlich vieles auch geglaubt. So ist es bestimmt auch vielen Ex-Nazis gegangen, die noch leben und hohe Ämter bekleiden.

Glauben Sie, dass die Aufarbeitung der Nazi-Zeit in Literatur und gesellschaftspolitischen Diskussionen anders verlaufen wäre, wenn Menschen wie Luise Rinser oder auch Günter Grass früh zu ihrer Vergangenheit gestanden hätten?

Ja, es wäre vielleicht ganz anders gelaufen, wenn sie zugegeben hätten, dass sie sich damals geirrt und opportunistisch gehandelt haben. Ihre demokratische Gesinnung hätte dadurch an Glaubwürdigkeit gewonnen. Wenn ich aber sehe, wie brutal und undemokratisch man mit Menschen umgeht, denen man Fehlerhaftes in der Nazi-Zeit nachweist – wenn ich sehe, wie man solche Fälle rücksichtslos ausschlachtet -, dann habe ich Verständnis für die Angst, sich zu früheren Irrtümern zu bekennen. Abgesehen natürlich davon, dass Luise Rinser wie die anderen von sich aus kaum zu einem Geständnis bereit gewesen wäre.“

Bei allem, was Sie über Luise Rinser herausgefunden haben – was hat Sie da am meisten schockiert?

Das Spiel, in den Kriegsjahren arm gewesen zu sein. Es wäre nicht notwendig gewesen. Wie sie mit Karl Rahner umgegangen ist, seine Gefühle ausgenützt und verletzt hat, hat mich auch sehr enttäuscht. Und natürlich ihr Verhalten ihrem Sohn Stephan gegenüber. Er ist gestorben, ohne dass sie den Mut finden konnte, ihm die Identität seines Vaters zu eröffnen. Stephan war ja ein uneheliches Kind. Außer mir konnte sie ihr Leben lang dieses niemandem gestehen, nicht einmal ihrem Sohn Christoph. Stephan ist letztendlich auch daran zerbrochen. Diese Geschichte ist die große familiäre Tragödie Luise Rinsers.

Im bayerischen Wessobrunn ist ein Denkmal für Luise Rinser geplant - dagegen regt sich auch Widerstand. Hat sie Ihrer Ansicht nach – nach allem, was sie jetzt über sie wissen – eines verdient?

Das ist schwierig. Wenn ich schon Stellung nehmen muss, möchte ich differenzieren – kein Denkmal für sie als Person, sondern eins für sie als Personifizierung des deutschen Dramas, des deutschen Problems, das immer noch ungelöst ist.

José Sánchez de Murillo: Luise Rinser – Ein Leben in Widersprüchen, S. Fischer Verlag, Euro 22,95

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