Ziemlich fies, dieser Gott!

Kuriose Premiere: Bei Glucks »Alceste« gab es vier Ersatz-Akteure für zwei Hauptrollen. Es musste improvisiert werden. Ob es doch noch funktioniert hat, sehen sie hier.
von  Abendzeitung
Zwei stumme Diener einer Opern-Premiere: Regisseur Bruno Klimek ganz in weiß als Gott Apollo, davor die amtierende Oberspielleiterin Helen Malkowsky als Aushilfs-Alceste.
Zwei stumme Diener einer Opern-Premiere: Regisseur Bruno Klimek ganz in weiß als Gott Apollo, davor die amtierende Oberspielleiterin Helen Malkowsky als Aushilfs-Alceste. © Jutta Missbach

Kuriose Premiere: Bei Glucks »Alceste« gab es vier Ersatz-Akteure für zwei Hauptrollen. Es musste improvisiert werden. Ob es doch noch funktioniert hat, sehen sie hier.

Solch eine Opern-Premiere wie Glucks „Alceste“ hat es in Nürnberg noch nie gegeben: Erst stolperte der als Gott Apollo besetzte Sänger in der letzten Probenwoche beim Jogging in die Dienstunfähigkeit, dann warf die Grippe die Titelheldin aus dem Rennen und Ersatz war für ein in dieser Fassung nirgends gespieltes Werk weit und breit nicht zu finden. Also wurde doppelt und vierfach improvisiert. Regisseur Bruno Klimek stieg persönlich in den blütenweißen Anzug der totmachenden Lichtgestalt und ließ Sebastian Kitzinger vom Blatt singen, während Oberspielleiterin Helen Malkowsky mimisch als opferfreudige Alceste einsprang, während die spät angereiste Anne Salvan im Orchestergraben am Notenpult mit hohen Tönen rang. Was will man sagen bei soviel Rettungs-Einsatz. Zumal Dirigent Bruno Weil mit den Philharmonikern den bislang besten, vital pulsierenden Nürnberger Gluck bot und Edgar Hykels Opern-Chor in Hochform war.

Inszenierung gefrostet.

Die antike Geschichte der liebenden Ehefrau, die sich zugunsten ihres sterbenden Gatten dem göttlichen Ratschluss in den Weg stellt, ist in Bruno Klimeks strategisch kühler Inszenierung nun noch etwas mehr gefrostet. Ihre Metaphern-Tendenz änderte sich durch die Verkünstelung der Rollenteilungen kaum. Hermann Feuchters gleißend heller Raum aus hundert Leuchtstoffröhren, passendes Ambiente für den überirdischen Kilowatt-Herrscher, gibt Impulse für Bildvorlagen, die dem Zuschauer jede Art von Assoziationsgymnastik gestatten. Ein schwarzer Vorhang als schnelle Filmblende (wenn er nicht grade an den Übertiteln hängen bleibt), das blutrot betropfte Hintergrund-Plakat symbolisierend für individualistische Schlachtfeldstudien. Dazwischen wird der Chor, das Volk, zu Tableaus stilisiert, sinnfällig oder auch dekorativ.

Wie Regisseur Klimek den Apollo gemeint hat, zeigte er nun ganz genau. Ein mürrischer Tyrann, der mit dem Leben der Anderen spielt, ein fieser Gott auf Experimentier-Trip, der sich die Hände nicht schmutzig machen will an den Menschen. Am Ende, wenn sie die Wendungen seiner Machthaberei nicht mehr verstehen, werden sie ihn verlassen – da kann er nur „Was ist los?“ hinterherrufen. Sicher der kühnste Gedanke der Inszenierung.

Helen Malkowsky hatte zuvor als wortlose Alceste mit bloßen Händen das eigene Grab geschaufelt und damit ein mächtiges, auch mit dem Geruchssinn wahrnehmbares Regie-Bild gerettet. Anne Salvan, vor 20 Jahren in Nürnberg ein lyrischer Mezzo, schlug sich wacker, wenn auch nicht unangestrengt mit dem vokalen Teil. Carsten Süß als Macho-Ehemann Admento ging souverän um mit dem nahen Gesicht und der fernen Stimme seiner Partnerin.

Das Orchester, eingebettet in den Vorbühnen-Laufsteg und vom Posaunenklang aus der Seitenloge bestürmt, blieb frei von Kompromissen. Bruno Weil ist das kleine Wunder geglückt, seine energiegeladene Sicht auf den Gluck-Sound gegen latent drohende Elegie-Bedrängnis durchzusetzen. Der Klageton wird mit pointierter Dramatik gebannt.

Wenn Affekte von Gesang und Spiel zusammenfließen, wird das noch schlüssiger wirken als jetzt, da die Regie manchmal auch bloß neckische Posen fürs Poesiealbum zu stiften scheint. Viel Beifall, allen Respekt für die Bewältigung der Krise.

Dieter Stoll

Nächste Termine: 11., 16., 21., 29.3., 10. und 13.4. – Karten Tel. 0180-5-231600

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