Wir ziehen in die Wohnung, in der eine Mutter ihre Tochter erstach

Im Miethaus Wodanstraße 50 hat Griseldis L. (42) ihre schlafende Tochter Lisa (15) mit einem Messerstich ins Herz getötet. Fast ein Jahr lang stand die Drei-Zimmer-Wohnung leer – jetzt ist ein Liebespaar eingezogen. Daniela und Andreas stellten ihr Bett genau dorthin, wo die Bluttat geschah
von  Abendzeitung

Im Miethaus Wodanstraße 50 hat Griseldis L. (42) ihre schlafende Tochter Lisa (15) mit einem Messerstich ins Herz getötet. Fast ein Jahr lang stand die Drei-Zimmer-Wohnung leer – jetzt ist ein Liebespaar eingezogen. Daniela und Andreas stellten ihr Bett genau dorthin, wo die Bluttat geschah

NÜRNBERG Würden Sie hier einziehen? In eine Wohnung, in der ein blutiger Mord geschah? Vor einem Jahr brachte in dieser Wohnung in dem Miethaus Wodanstraße 50 in der Nürnberger Südstadt Griseldis L. (42) ihre schlafende Tochter Lisa (15) mit einem Messerstich ins Herz ums Leben. Fast ein Jahr lang stand die Drei-Zimmer-Wohnung leer – jetzt ist ein Liebespaar eingezogen. „Die müssen Nerven haben!“, sagen Nachbarn verständnislos.

„Warum sollten wir Skrupel haben, hier zu wohnen?, sagt der Installateur Andreas P. (36). „Der Tod ist ein Stück des Lebens, egal, wie er passiert“. Seine Lebensgefährtin Daniela Z. (36), Tankstellen-Servicekraft, nickt: „Wir kennen die Vorgeschichte und wissen, dass sich in einem der Zimmer hier in der 3. Etage eine Familien-Tragödie abgespielt hat. Warum soll das meinen Freund und mich daran hindern, dort glücklich zu werden? Ich sehe keinen Grund, dort nicht einzuziehen. Es gibt bestimmt auch nicht nur Schreckliches, was in dieser Wohnung geschah, sondern sicher Zeiten mit schönen Ereignissen. Schock und Erschütterung bei den Nachbarn sind Vergangenheit. Andreas und ich blicken in die Zukunft.“

„Ich habe immer noch die verzweifelten Klagerufe im Ohr!“

Dass endlich wieder Leben in die Wohnung kommt, das freut besonders Altenbetreuerin Claudia G. (42). Die allein erziehende Mutter von Ramona (13) hat nämlich eine ganz besondere Beziehung zu der „Wohnung des Schreckens“ zwei Treppen tiefer: „Ich habe immer noch die verzweifelten Klagerufe einer weinerlichen Frauenstimme im Ohr, die am Sonntagmorgen, am 12. August 2007 kurz vor 7 Uhr durchs Treppenhaus hallten. ,Hilfe, Hilfe..., warum hilft mir denn keiner?' rief jemand. Ich bin die 26 Stufen vom vierten Stock runter, stoppte vor einer weinenden Frau. Ihre Kleidung war voller Blut, in der rechten Hand hielt sie ein blutiges Messer. Sie schluchzte: ,Ich habe mein schlafendes Kind umgebracht!’ Ich traute meinen Augen und Ohren nicht, merkte, wie meine Knie zitterten.“

Die Frau mit dem Messer war Griseldis L. (42), sie hatte gerade ihre 15 Jahre alte Tochter Lisa ermordet. Das Nürnberger Schwurgericht verurteilte die Täterin inzwischen zu zwölf Jahren Haft..

Ramona G., zwei Jahre jünger als das getötete Mädchen, mit dem sie oft zusammen war, erinnert sich noch sehr gut daran, als ihre Mama zur Wohnungstür reinstolperte: „Sie zitterte und war blass, wählte die Notrufnummer, gab unsere Adresse an und rief immer wieder ins Telefon ,Hier ist ein Mord passiert... ein Mord, verstehen Sie? Bitte kommen sie schnell'.“

Ein Jahr stand die Mordwohnung dann leer. Keiner wollte hier einziehen, wo sich die Tragödie abgespielt hatte – bis jetzt Andreas und Daniela die Initiative ergriffen und trotz der ihnen bekannten Vorgeschichte die hellen Räume in Beschlag nahmen.

Das Ehebett am Tatort: "so richtig schön zum Kuscheln"

„Dort“, zieht Daniela Z. mit der ausgestreckten rechten Hand eine horizontale Linie unter dem Fenster des schönsten und größten Zimmers entlang, „stand das Sofa, auf dem Griseldis L. ihre Tochter Lisa umbrachte. Da wird unser großes Ehebett stehen. Wir werden dies nämlich als unser Schlafzimmer einrichten – so richtig schön zum Kuscheln.“

„Hier links“, geht Andreas P. nach nebenan, „hat es gestunken und ausgesehen wie auf einer Müllhalde. Das war eigentlich das Schlafzimmer von Frau L. und Lisa, doch vor lauter Gestank konnte da eigentlich niemand schlafen. Der Raum war zweigeteilt worden. Vor die Wand war ein zwei Meter breiter und fast drei Meter hoher Bretterverschlag gezimmert worden, in dem Hunde, Katzen und Meerschweinchen lebten.“

Alles haben Andreas und Daniela aus den Zimmern, aus Küche und Bad entfernt. „Kein einziger Nagel, keine Tapetenreste, keine Fußbodenleiste soll uns noch an die blutige Vorgeschichte erinnern“, meint Daniela. Sie und Andreas, die seit einem Jahr zusammen sind und sich im ehemaligen Tanzlokal „Mango“ kennen lernten, haben Tapeten, Fußböden, die Holzvertäfelungen im Bad, Dusche, Waschbecken, Toilette entsorgt, die gesamte Mordwohnung entkernt. „Alles ist neu, die Wohnung nicht mehr wieder zu erkennen“, sagt Andreas P. schweißgebadet.

Die neuen Mieter in der Wodanstraße 50 wollen die Tatort-Wohnung jetzt mit Leben erfüllen. „Wir werden glücklich hier“, glauben Daniela und Andreas, die fest davon überzeugt sind: „Wir werden damit klar kommen, dass in unserem Schlafzimmer Schreckliches geschah. Albträume haben wir deshalb hoffentlich nie.“

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